World's End
Assistent des Staatsanwalts waren ebenfalls mit Rombout zur Schule gegangen. Der Richter war mit Rombouts Vater zur Schule gegangen.
»Euer Ehren«, plädierte der Verteidiger des Indianers, »ganz offensichtlich ist mein Mandant nicht Herr seiner Sinne.«
»Ach so?« gab der Richter zurück, ein dicker, barscher Reaktionär, der für seine Unduldsamkeit gegen Landstreicher, fahrendes Volk, Zigeuner und ähnliches Gesindel bekannt war. »Und wie läßt sich das beweisen?«
»Er behauptet, Indianer zu sein, Euer Ehren.«
»Indianer?« Der Richter runzelte die Stirn, während alle im Gerichtssaal einen Blick auf den Kitchawanken warfen, der kerzengerade im Anklagestand saß.
Der Richter wandte sich zu ihm. »Jeremy Mohonk«, begann er, dann sah er zum Schreiber hinüber. »Mohonk? Das stimmt doch?« Der Schreiber nickte, und der Richter blickte wieder zum Angeklagten. »Begreifen Sie, was Ihnen hier zur Last gelegt wird?«
»Ich habe meinen Leib und mein Eigentum verteidigt«, knurrte der Indianer, dessen Blicke rasch den Raum durchmaßen. Rombout, immer noch mit Kopfverband und einer angeschwollenen, verfärbten linken Gesichtshälfte, sah zur Seite.
»Ihr Eigentum?« fragte der Richter.
Der Anwalt des Indianers sprang auf. »Euer Ehren«, begann er, aber der Richter winkte ab.
»Ist Ihnen klar, daß das Grundstück, auf das Sie hier Anspruch erheben, schon länger Eigentum der Familie Van Wart ist, als dieser Staat in seiner heutigen Form überhaupt existiert?«
»Und wie war es davor?« konterte der Indianer. Seine Augen waren wie Klauen, krallten sich in jedes Gesicht im Saal. »Davor gehörte es nämlich meiner Familie – bis man uns darum betrogen hat. Und wenn Sie noch etwas wissen wollen, der Boden, auf dem dieses Gerichtsgebäude steht, gehörte uns auch.«
»Sie behaupten also, Indianer zu sein?«
»Halbindianer. Mein Blut ist verunreinigt worden.«
Der Richter starrte ihn lange an, leckte sich von Zeit zu Zeit die Lippen und nahm zweimal die Brille ab, um sie am Ärmel des Talars abzuwischen. Schließlich sagte er: »Blödsinn. Indianer gibt es in Montana, Oklahoma und den Black Hills. Hier gibt es keine Indianer.« Dann schickte er den Verteidiger auf seinen Platz zurück und fragte den Staatsanwalt, ob er dem Angeklagten noch weitere Fragen stellen wolle.
Die Geschworenen, von denen acht mit Rombout zur Schule gegangen waren, zogen sich für fünf Minuten zurück. Ihr Spruch lautete: schuldig im Sinne der Anklage. Der Richter verurteilte Jeremy Mohonk zu zwanzig Jahren in Sing-Sing, das man ironischerweise nach den Sint Sinks benannt hatte, einem seit langem ausgestorbenen Stamm, der entfernt mit den Kitchawanken verwandt gewesen war.
Rombout war also Gerechtigkeit widerfahren, aber dennoch erwies sich das Grundstück – eingefordert von einem Wahnsinnigen und ohnehin noch nie zu irgend etwas nütze – als eine zu schwere Last für ihn. Sechs Monate, nachdem Jeremy Mohonk ins Zuchthaus überführt und seine Kate abgerissen worden war, sah sich Rombout genötigt, das Land zum Verkauf anzubieten. Im Laufe der Jahre, infolge von Gesetzesänderungen, dem Druck der öffentlichen Meinung, Zwistigkeiten zwischen Erben und anderen Spielarten der Zermürbung, war der ursprüngliche Grundbesitz der Van Warts von 345 Quadratkilometern auf nicht einmal einen einzigen geschrumpft. Nun würde er noch weitere zwanzig Hektar kleiner werden.
Es waren harte Zeiten. Zwei Jahre lang stand das Grundstück zum Verkauf, aber niemand schien interessiert.
Schließlich setzte Rombout eine Anzeige in den Peterskill Post Dispatch (der sich bald darauf sowohl mit dem Herald wie mit dem Star Reporter vereinigte). Am Tag nach dem Erscheinen der Anzeige rollte eine funkelnagelneue Packard-Limousine gemächlich spotzend den Fahrweg zum Gutshaus hinauf. Darin saß Peletiah Crane, Rektor der Schule von Van Wartville und Nachfahre des legendären Pädagogen und Gesetzgebers. Er trug den Nadelstreifensakko des Schulleiters, komplett mit Querbinder, Vatermörder und Panamahut, und hatte eine schwarze Tasche bei sich, wie sie Landärzte zu Hausbesuchen mitnehmen.
Pompey geleitete den Erzieher in den hell erleuchteten hinteren Salon, wo Rombout mit seinem dreizehnjährigen Sohn Depeyster über einer Partie Schach saß. »Peletiah?« rief Rombout erstaunt aus, stand auf und streckte die Hand aus.
Der Rektor lächelte – nein, er grinste –, bis er aussah wie eine Walnuß kurz vor dem Aufbrechen. Depeyster senkte den Kopf.
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