World's End
Schauspieler und Aktivist in der Bürgerrechtsbewegung, ein imposanter Löwe von Mann, der die alten Spirituals so singen konnte, daß man sie bis ins Mark spürte.
Lola hatte ihn erst ein Jahr davor im Pavillon der Kitchawank Colony gesehen. Seinerzeit waren an die zweihundert Leute gekommen, in der Mehrzahl Bewohner der Colony, ergraute Anarchisten und Sozialisten, die in den Zwanzigern die Siedlung gegründet hatten, weil sie sich vom ungesunden Stadtleben freimachen und ihren Kindern eine liberale Erziehung angedeihen lassen wollten, und die linientreuen Kommunisten, die die Alten langsam abzulösen begannen. Die Leute hatten Brötchen mitgebracht und auf der Wiese gesessen – alte Ehepaare, Kinder, schwangere Frauen. Ärger hatte es keinen gegeben. Es war für alle ein schöner Tag gewesen. Ein bißchen Kultur in der Provinz.
Aber im Jahr darauf – im August, Ende August – war es anders. Lola arbeitete damals halbtags als Verkäuferin in der alten Bäckerei der van der Meulens in Peterskill, deshalb konnte sie nicht mit Hesh und Truman schon früher rausfahren. Walters Mutter aber kam mit. Christina schmierte ein paar Brote und füllte eine Thermoskanne mit Eistee, setzte Walter bei der Großmutter ab – er war gerade drei geworden, wußte er das etwa noch? –, dann kletterte sie mit ihrem Mann und dessen Kumpel Piet in Heshs 1940er-Plymouth.
Lola legte den Kopf zurück und sah sich im Zimmer um. Vor ihr stand eine Tasse schwarzer Kaffee, der kalt wurde. Sie zündete sich eine Zigarette an, machte das Streichholz aus und stieß den Rauch aus. »Das war vielleicht eine Type, der Piet«, sagte sie. »Ein kurzer, kleiner Kerl, ging mir höchstens bis ans Kinn. Und immer zu Streichen aufgelegt – weißt du, dein Vater hatte nämlich viel für Spaß übrig.« Sie trank einen Schluck kalten Kaffee. »Die beiden trieben andauernd Schabernack. Lauter dummes Zeug. Elektrische Schläge beim Händeschütteln und Einstecknelken, die Wasser spritzen, so was eben. Möchte wissen, was aus dem geworden ist – aus Piet, meine ich. Dein Vater hat jedenfalls große Stücke auf ihn gehalten.«
An dem Abend damals wurde nicht gescherzt. Hesh fuhr. Christina saß vorne, mit der Thermoskanne, der Schachtel mit den Programmzetteln und den Parteibroschüren; Truman und Piet waren auf dem Rücksitz eingezwängt zwischen der Lautsprecheranlage. Lola hatte vor, später nachzukommen, sobald sie mit der Arbeit fertig wäre. Es würde genügend Zeit bleiben – sie hatte um sieben Schluß, und das Konzert sollte frühestens um halb acht anfangen. Sie hoffte, daß sie ihr einen Sitz freihalten würden.
Das Konzert sollte unten am Fluß stattfinden, gleich bei der Van Wart Road, auf einem Grundstück von Peletiah Crane, der damals Schulinspektor von Peterskill war. ( Ja, genau , hatte Lola gesagt, als sie ihm die Geschichte zum erstenmal erzählt hatte, Toms Opa. ) Peletiah war zwar nicht in der Partei, aber er sympathisierte mit ihrer Sache und unterstützte seit Jahren die Kulturveranstaltungen in der Colony. Als sich herausstellte, daß diesmal viel mehr Leute als im Vorjahr zu dem Konzert und der Versammlung kommen würden – eine Solidaritätskundgebung für die progressiven Kräfte, die vielleicht zweieinhalbtausend Leute aus New York anziehen würde –, wurde der Kitchawank Colony Association klar, daß sie nicht genügend Platz besaß, um solche Massen unterzubringen, und sie zog ihre Schirmherrschaft zurück. Peletiah sprang in die Bresche. Er bot den Robeson-Leuten sein Land gratis an, und daraufhin zeigte sich ein Gewerkschaftsverband bereit, die Miete für Stühle, die Verstärkerausrüstung und eine Flutlichtanlage aufzubringen. Der Schriftsteller Sasha Freeman und der Bauunternehmer Morton Blum waren die verantwortlichen Organisatoren. Sie rechneten nicht mit Schwierigkeiten, aber man konnte nie wissen. Also baten sie Hesh und Truman, beides Parteimitglieder und starke, vom Krieg und von der Not abgehärtete Männer, für Ruhe und Ordnung zu sorgen.
Hesh hatte damals noch Haare, und bei all seiner Schroffheit war er im Herzen ein Teddybär. Truman war der bestaussehende Mann in ganz Peterskill, ein wilder Teufelskerl, der einmal mit einem geliehenen Flugzeug unter der Bear Mountain Bridge durchgeflogen war – noch dazu auf dem Kopf –, worauf ihm die Zivilluftfahrtbehörde den Pilotenschein entzogen hatte. Er und Hesh waren dicke Freunde ( Ja, hatte Lola ihm beim erstenmal gesagt, genau wie du und Tom ) – sie
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