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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Eindeutiges. Walter, ehemals der kritische, distanzierte Held, der verbindliche Beziehungen und die Ehe gescheut hatte wie der Teufel das Weihwasser, liebte Jessica, und sie liebte ihn. Nein, es war mehr als das. Oder vielleicht weniger. Walter brauchte sie – er stand nur noch mit einem Bein auf dem Boden –, und sie brauchte es, gebraucht zu werden.
    Die Zeremonie wurde auf einer Wiese mit saftigem, kniehohem Gras abgehalten, zum schläfrigen Summen von Tom Cranes Bienen und nur einen Steinwurf von seiner Kate entfernt. Jessicas Familie hatte zwar auf eine traditionelle Trauung in der Episkopalkirche von Peterskill gedrängt, mit Orgelmusik, Strumpfbandwerfen und siebenstöckiger Torte, aber das hatten Braut und Bräutigam rundweg abgelehnt. Sie waren keine Sklaven der Tradition. Sie waren kühne Freidenker, überschwenglich und originell, und sie mußten keine fünf Minuten überlegen, um zum idealen Schauplatz für ihr Hochzeitsfest Tom Cranes Grundstück zu erwählen.
    Was könnte geeigneter dafür sein? Keine korrupte Institution würde ihren düsteren Schatten auf die Zeremonie werfen, und die Natur selbst würde mitfeiern. Es sollte eine Freiluft-Hochzeit werden, respektlos und ungezwungen, mit gegrillten Steaks – und Tofu-Brötchen für die Vegetarier. Anstelle des bei standesamtlichen und kirchlichen Trauungen üblichen öden Geschwafels würden sie Lesungen aus Gurdjieff oder Kahlil Gibran veranstalten, und statt Mendelssohns Dudelei käme die Musik aus Herbert Pompeys Nasenflöte. Die Braut würde Blumen im Haar tragen. Der Bräutigam würde Blumen im Haar tragen. Und auch die Gäste, in bunten Ponchos, Stiefeln und Fransenlederwesten, würden Blumen im Haar tragen. Außerdem hatte die Wiese unterhalb von Toms Hütte für Walter natürlich ihre ganz besondere Bedeutung.
    Walter kam früh. Nach seiner Junggesellenparty, die mit mehreren gemischten Lagen im »Elbow« begonnen und mit Kochsherry und Kif in der Wohnung eines früheren Schulkameraden – er wußte nicht mehr, bei welchem – geendet hatte, fühlte er sich ausgelaugt und verkatert. Gegen vier war er endlich ins Bett gekommen, doch kaum hatte er die Augen zugemacht, war jedesmal eine stetige Prozession historischer Gedenktafeln zum Takt von »Yankee Doodle Dandy« in seinem Zimmer herummarschiert, und seine Träume waren die Träume eines Mannes gewesen, der seine Jugend hinter sich gelassen hatte. Um sieben wachte er auf, zerknittert und gerädert, weil er in seinem fehlenden Fuß heftigen Juckreiz verspürte. Er beschloß, seine Hochzeitskluft anzuziehen und zu Tom Crane hinüberzufahren.
    Es war Ende September, ein warmer, dunstiger Morgen, die Sonne über den Baumwipfeln hielt ihm ihr Licht bündelweise entgegen. Er sah hinauf in das Geflecht der Äste, die über der Windschutzscheibe dahinzogen, und bemerkte, daß das Ahornlaub schon braun war, und obwohl es noch früh war, roch er den schwachen, beißenden Duft von brennenden Blättern in der Luft. Nach seinem Unfall, vor nunmehr fast zwei Monaten, hatte er aufgehört, sich zu rasieren, und er strich sich beim Fahren über die unregelmäßigen Stoppeln, die auf der Oberlippe und den Backen sprießten. Er war ganz in Weiß gekleidet, wie ein Guru oder ein Osterlamm, in das Nehru-Hemd und die Hosen mit Schlag, die Jessica ihm als Hochzeits-Ensemble ausgesucht hatte. Sein Haar fiel, gemäß der Mode der Zeit, bis auf die Schultern herab. Er trug die gewohnten Dingo-Stiefel und hatte, der Farbe wegen und als Glücksbringer, einen Gürtel umgelegt, den seine seelenvolle, kummervolle Mutter als Mädchen im Sommerlager aus rosa und blauen Plastikschnüren geflochten hatte.
    Er brachte das leichte Gefälle ohne größere Schwierigkeiten hinter sich – allmählich gewöhnte er sich an die Prothese, so wie er sich an sein erstes Paar Rollschuhe gewöhnt hatte; seit einer Weile stemmte er Gewichte, um seine Schenkelmuskulatur als zusätzliche Stütze zu kräftigen. Das Bein machte ihm keine Sorgen, eher schon sein Kopf. Der Kochsherry war ein Fehler gewesen, zweifellos. Auf dem abschüssigen Pfad, der ungefähr dem Lauf der alten Straße folgte, wich er hie und da einem Kuhfladen aus und empfand großen Neid auf Tom Crane, der die Kneipe unter dem Vorwand ehefördernder Verpflichtungen nach zwei Glas Bier verlassen hatte. Er blieb eine Zeitlang auf der in Nebel gehüllten Wiese am Rand des Baches stehen und dachte: Hier war die Bühne, und da der Parkplatz , dann drehte er sich weg, stampfte

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