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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Zuchtperlen und Madeiraspitze. Das Haar aufgesteckt, hochhackige weiße Schuhe, sie sah aus wie eine Märchenfee. Sie hielten die Trauung im Freien ab, am Ufer des Kitchawank Lake, obwohl es schon spät im Jahr und ein bißchen kalt war, und als der Standesbeamte sagte: »Sie dürfen die Braut jetzt küssen«, und dein Vater deine Mutter in die Arme nahm, da fingen rings um den See alle Gänse zu schnattern an, und die Fische schnellten aus dem Wasser wie Stückchen Stanniolfolie. Hesh war der Trauzeuge.
    Er war beinahe auf dem Gipfel des Hügels angekommen, als eine zweite Stimme sich in sein Bewußtsein drängte. Er blickte auf. Direkt vor ihm, blaß, krummbeinig und nackt wie ein Waldschrat, stand Tom Crane. Der Heilige der Wälder hielt in der einen Hand eine Flasche Babyshampoo und in der anderen ein Handtuch, das steif wie ein Brett war. Er grinste und sagte etwas über kalte Füße, aber Walter verstand ihn nicht genau, weil ihm immer noch das Gemurmel seiner Großmutter in den Ohren klang. Walter, Walter , sagte sie mit schmerzensreicher, leiser werdender Stimme, wirf es ihm nicht vor. Er hat sie geliebt. Wirklich. Nur hat er eben tief im Herzen... sein Vaterland noch mehr... geliebt.
    »Hey, Walter – Van –, reiß dich zusammen!« Der nackte Heilige stand jetzt einen halben Meter vor ihm, starrte ihm in die Augen wie durch ein Teleskop. »Bist du noch hinüber von gestern abend, oder was?«
    Das war er. Ja. Allerdings. Er sah Tom Crane zum erstenmal genauer an und stellte fest, daß die schmächtige Gestalt des Heiligen mit Furunkeln, Flecken und Insektenstichen übersät war. Tom kratzte sich am Bart. Seine Rippen waren Zaunlatten, die Füße so weiß und lang und flach, als wären sie aus Teig geformt, der nicht aufgehen wollte. Seine Lippen bewegten sich, und er sagte etwas über ein kurzes Bad im Bach zum Aufwachen und heißen Kaffee mit Bourbon oben in der Hütte. Walter ließ sich den Hügel wieder hinunterführen, über den Steg und in das Farnkraut am Ufer.
    Der Bach führte zu dieser Jahreszeit nicht viel Wasser, doch der Heilige der Wälder hatte ihn, zum Zwecke der Körperpflege, unter der Brücke aufgestaut – das so entstandene Bassin war etwa so tief und dreimal so breit wie eine Badewanne. Tom klemmte sein Handtuch in eine Astgabel und ging ins Wasser, wobei sein flacher, blasser Allerwertester aufblitzte, der nicht mehr von baumwollenen Unterhosen umhüllt worden war, seit seine Mutter zu Beginn seines Studiums an der Cornell-Uni vor vier Jahren aufgehört hatte, seine Wäsche zu waschen. Er senkte sich in den Bach wie eine mutierte Wasserspinne, den Hintern zuerst. Der Schock ließ ihn aufjohlen.
    Walter brauchte länger. Von dem beschwerlichen Weg hügelabwärts war er außer Atem und schweißgebadet. Sein Bein fühlte sich auf einmal an, als wäre es vom Knie abwärts mit Peperoni eingerieben, und seine Augen spielten ihm immer noch Streiche. Keine größeren Probleme – die Bäume verwandelten sich nicht in Klauen oder Dauerlutscher, und seine Großmutter war nirgends zu sehen –, aber alles wirkte verzerrt und verschwommen, die sichtbare Welt befand sich in wuselnder Bewegung, als betrachtete er einen Tropfen Tümpelwasser unter dem Mikroskop. Die Blätter über ihren Köpfen, der Steg aus gesprungenem Holz, die Rinde der Bäume und die Struktur der Felsen: alles war auf seine Bestandteile reduziert, zu einem Gitterwerk aus winzigen tanzenden Pünktchen. Das kommt von gestern nacht, nahm er an. Der Kochsherry. Das muß es gewesen sein. Er kauerte auf einem Stein und begann, an seinem linken Stiefel zu zerren.
    Tom zappelte krampfartig mit allen Gliedern im Wasser und atmete schwer wie ein Seehund, der zum Luftholen auftaucht.
    »Kalt?« fragte Walter.
    »Nein, nein«, sagte Tom, etwas zu hastig. »Gerade richtig.« Er wandte den Blick ab, als Walter den anderen Fuß aus dem Stiefel zog.
    Walter streifte sich das Nehru-Hemd über den Kopf, ließ Hose und Unterhose fallen und stand nackt zwischen Farnen und jungen Bäumen. Er spürte den Uferschlamm zwischen den Zehen seines linken Fußes; der rechte, der leblose Fuß steckte wie ein Stein im Boden. Noch niemand hatte ihn so gesehen, nicht einmal Jessica. Und Tom Crane, sein bester Freund und intellektueller Mentor, sah nicht hin.
    »Weißt du was?« sagte Tom, warf einen Blick auf Walter, der sich ins Wasser gleiten ließ, und sah dann wieder weg. »Automobile. Autos. Am Anfang wollten sie Elektromäuse dazu sagen.« Er kicherte

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