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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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über den Steg und schreckte die Schwalben auf, die darunter nisteten. Heute würde er heiraten. Hier. Ausgerechnet hier. Die Wahl des Ortes, dämmerte ihm, war nicht so originell, wie er zunächst gedacht hatte.
    Walter kletterte den steilen Weg vom Van Wart Creek hinauf, zur Linken sprudelte der kleine Zufluß namens Blood Creek, zur Rechten lagen Tom Cranes Bienenstöcke und das immer noch üppige Gemüsefeld mit den prallen Zucchini, den Kürbissen und den späten Tomaten, als er auf den ersten ungebetenen Gast stieß. Sie stand mit dem Rücken zu ihm, ihre dicken Strümpfe waren über die Schuhe hinuntergerollt, und er konnte ihre Krampfadern sehen. Er erkannte sie sofort. Sie war vornübergebeugt, suchte etwas – oder nein, sie jätete Unkraut, hielt die Knie stocksteif und schwenkte das breite Hinterteil wie eine Zielscheibe auf dem Rummelplatz. Er erinnerte sich an den Tag, an dem ihm dieses Ziel so unwiderstehlich erschienen war, als sie sich über das Tulpenbeet vor dem Haus in Verplanck gebückt hatte, daß er es mit Erdklumpen bewerfen mußte, und er erinnerte sich auch an die nachfolgende Vergeltung, als sein Großvater vom Krebsefangen nach Hause gekommen war und ihn das Ende einer alten Falleine schmerzhaft hatte spüren lassen. Unkrautjäten. Das sah ihr ähnlich. Er erinnerte sich daran, wie sie jede pelzige Pfahlwurzel und jedes Queckenbüschel mit Schimpftiraden in dem Bauernholländisch verfluchte, das die Leute schon seit hundert Jahren nicht mehr sprachen, wie sie es der schweinsäugigen Mrs. Collins von gegenüber an den Hals wünschte, oder Nettie Nysen, dieser Hexe, die sie gezwungen hatte, das Telefon abzumelden. Im Frühling legte sie für jedes frische Päckchen Saat den gefrorenen Totenzauber eines Krebses – Augenstiele und Hirn – mit in die Erde. »Großmutter«, sagte er, und sie fuhr herum, als habe er sie aufgeschreckt.
    Na, und wenn schon? – Er war wütend. Er war überzeugt gewesen, er hätte all das hinter sich, die Träume und Visionen wären im Krankenhaus oder am Straßenrand zurückgeblieben, er dachte, ein geopferter Fuß wäre genug. Aber da irrte er sich.
    Sie lächelte jetzt, fett und rosig und gesund wie alle maßlosen Esser – diese Frau hatte nie im Leben etwas anderes gefrühstückt als gesalzenen Räucherhering, Marmeladekuchen und gezuckerten Kaffee, so dick und schwarz wie Motoröl. »Walter«, sagte sie leise mit ihrer keckernden Stimme, »ich wollte dir alles Gute zur Hochzeit wünschen.« Und dann, mit der ganzen Raffiniertheit einer Hinterhofklatschbase: »Na, und was macht der Fuß?«
    Der Fuß? Am liebsten hätte er sie angebrüllt: Hast du etwa damit was zu tun gehabt? Hast du? Doch er starrte nur auf den Stumpf eines Baumes, den Jeremy Mohonk 1946 nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis gefällt hatte. Seine Großmutter war verschwunden. Schon wieder Geschichte. Urplötzlich fühlte er sich sehr müde. Er wurde von Wehmut ergriffen, Wein wurde zu Essig, und aus den Bäumen, die ihn umzingelten wie ein feindseliger Mob, beschimpften ihn die Vögel. Er versuchte, diese Dinge aus seinen Gedanken zu verscheuchen, versuchte sich zu erinnern, daß er seinen Vater haßte und einen Dreck darauf gab, wo er jetzt war, daß er ein eigenes Leben hatte, eine Identität, die mehr war als die des verlassenen, mutterlosen Jungen, der unter Fremden aufgewachsen war. Er versuchte, an Jessica zu denken, an die Vereinigung, die ihn erlösen und heilen würde. Und schon holte sie ihn ein: die Vergangenheit.
    Er stapfte den Hügel hinauf, und seine körperlose Großmutter flüsterte ihm ins Ohr, erzählte ihm eine seiner Lieblingsgeschichten – eine, die er noch lieber hörte als die vom Verrat an Minewa oder die vom übertölpelten Sachoes –, die Geschichte von der Hochzeit seiner Eltern. Was haben sie angehabt? hatte er sie damals immer gefragt. Wie sah meine Mutter aus? Erzähl mir von dem See.
    Deine Mutter war wie eine Königin, antwortete sie ihm, und dein Vater war der schönste Mann in der ganzen Gegend. Ein Sportler, ein Possenreißer, stets zum Scherzen aufgelegt. Er hat in seiner Uniform geheiratet, mit den Medaillen an der Brust und seinen Sergeantstreifen auf der Schulter. Deine Mutter war eine Alving. Schwedin. Ihr Vater war Magnus Alving, der Architekt – er hat die Freie Schule in der Colony entworfen, wußtest du das? –, und ihre Mutter war holländischer Herkunft, eine Opdycke. Sie trug das Brautkleid ihrer Mutter – schwere Seide, besetzt mit

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