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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Er sah einen Schreibtisch, einen Stuhl, Aktenschränke. Grünpflanzen. Gerahmte Bilder. Aber Moment mal: irgend etwas stimmte hier nicht. Wer da erschrocken aufblickte, rasch einen Umschlag in der Schublade versteckte und sie mit einem Knall zuschob, der an ein Schrotgewehr erinnerte, das war nicht Miss Egthuysen, sondern der Mann im hellbraunen Sommeranzug, den er früher ab und zu unter den herumschnüffelnden Eierköpfen an der Tür zur Werkshalle bemerkt hatte. »Ich, äh –« begann Walter.
    Der Mann funkelte ihn jetzt an, durchbohrte ihn mit einem Blick von derartigem Ingrimm, daß Walter sich wünschte, er wäre wieder draußen in der Halle zwischen den stinkenden Dämpfen, oder im Krankenhaus, irgendwo anders, nur nicht hier. »Äh, ich wollte eigentlich zu Miss –« stammelte Walter und hielt abrupt inne. Auf dem Schreibtisch des Mannes stand ein Namensschild. Natürlich.
    »Was suchen Sie hier?« wollte Van Wart wissen. Er war aufgestanden und schien beunruhigt. Wütend. Bedroht. »Sie waren doch gestern bei mir zu Hause, oder?«
    »Ja, aber –« schuldig, schuldig, warum fühlte er sich immer schuldig? – »Ich ... ich arbeite hier.«
    Van Warts Gesichtsausdruck wurde völlig leer. » Sie arbeiten für mich? «
    »Erst seit Ende Mai, aber ich wußte nicht ... ich meine, ich hatte ja keine Ahnung –«
    Doch der Namenspatron von Depeyster Manufacturing hörte nicht zu. »Das ist ja nicht zu fassen«, sagte er und ließ sich in den Drehstuhl fallen, als hätte ihm die Neuigkeit schlagartig die Knie weich werden lassen. »Unten in der Halle?«
    »Äh, ja. Ich steh an einer von den Drehbänken.«
    »Nicht zu fassen«, wiederholte Van Wart, und plötzlich durchzog ein Grinsen sein Gesicht wie eine aufbrechende Gletscherspalte. »Truman Van Brunts Sohn.« Dann sah er auf Walters Fuß, und das Grinsen verschwand. »Hat mir sehr leid getan, das mit Ihrem Unfall.« Stille. »Sie heißen Walter, nicht wahr?«
    Walter nickte.
    »Ich habe in der Zeitung davon gelesen.«
    Walter nickte nochmals.
    »Ich kannte Ihren Vater.«
    Walter sagte nichts. Er wartete ab.
    »Vor vielen Jahren.«
    »Ich weiß.« Walter sprach mit leiser Stimme, flüsterte beinahe. Erneut herrschte Stille, während Van Wart die Schublade wieder aufzog und in seinen Papieren herumwühlte. »Deshalb bin ich ja zu Ihrem Haus gekommen«, gestand Walter. »Ich wollte von Ihnen etwas über ihn erfahren. Über meinen Vater.«
    Van Wart wirkte zerstreut. Er sah alt aus und, in diesem Moment jedenfalls, verletzlich. Ohne den Umschlag aus der Lade zu nehmen, schob er sich eine Prise von irgend etwas in den Mund. »Über Truman?« sagte er schließlich. »Wieso, er ist doch nicht etwa wieder aufgetaucht?«
    Walters Kopfschütteln schien Van Wart zu erleichtern. Er genehmigte sich eine weitere Prise aus dem kostbaren Umschlag, was immer er darin aufbewahren mochte, und starrte dann auf seine makellosen Manschetten und die gepflegten Hände. Das war also das Scheusal, dachte Walter, der Unmensch, der Faschist, der das Gemetzel an Unschuldigen geplant und in den Gutenachtgeschichten einer ganzen Generation von Kindern der Colony herumgespukt hatte. Irgendwie paßte er nicht in dieses Bild. Mit dem seidigen, exakt geschnittenen Haar, den blitzenden Zähnen und der gleichmäßigen Bräune, mit seiner wohlgefälligen Art und der präzisen, gesetzten Redeweise hätte er auch der gütige, nachsichtige Vater in einer Fernsehserie sein können, oder ein Richter, ein Professor, ein Pianist oder Dirigent.
    Doch dieser Eindruck verflog im nächsten Augenblick. Van Wart sah auf und sagte plötzlich: »Glaub ihnen nicht, Walter. Hör nicht auf sie. Dein Vater war in Ordnung. Der war Gold wert gegen diese ganze Bande mit ihren gemeinen, dreckigen Lügen.« Er fixierte Walter, und es lag nichts Gütiges mehr in seinem Blick. Dieser Blick war zornerfüllt, furchterregend, dieser Blick war zu allem fähig. »Dein Vater –« er lehnte sich vor und schien sich nur mühsam zu beherrschen, »– dein Vater war ein Patriot.«
    Dann war da noch die Hochzeit.
    Wenn das Leben sich auch allmählich von Walter herunterschälte, Schicht für Schicht, wie eine große, unermeßliche Zwiebel, wenn auch all seine mysteriösen Manifestationen – der Unfall, die Gedenktafel, die Gespenster und die Kartoffelpuffer, das Gesicht in der Tür der Van-Wart-Villa, Van Wart selbst – Teile eines Puzzles waren, so war die Hochzeit wie ein frisches Lüftchen: die Hochzeit wenigstens war etwas

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