Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
ausgeprägten Kinn erinnerte ihn auf unheimliche Weise ebenfalls an jemanden. Aber an wen? Er hatte ein Gefühl von Déjà-vu, spürte das schmerzende Fleisch, als er über den harten, kalten Asphalt geschleudert wurde, hörte das spöttische Gelächter der Penner an Deck der U.S.S. Anima. Er hatte es fast – fast erinnerte er sich an das Gesicht –, als er erneut ihre Stimme hörte, weicher jetzt, beinahe beunruhigt. »Was ist denn mit Ihnen?«
    »Ich bin der Sohn von Truman Van Brunt«, sagte er.
    »Wessen Sohn?«
    »Von Truman Van Brunt. Ich heiße Walter. Ich wollte eigentlich mit Mr. Van Wart reden ... über meinen Vater.«
    Sie zuckte bei dem Namen nicht zusammen, hob nicht die Hand vors Gesicht oder fiel in Ohnmacht. Aber ihr Blick, der gerade ein ganz klein wenig aufgetaut war, wurde wieder eisig. »Tut mir leid«, sagte sie. »Ich kann Ihnen nicht helfen.«
    Soviel zu seinem Besuch.
    Am nächsten Tag, nach einer nutzlosen Stunde in der Bibliothek (er fand Hinweise auf Henrik Mohn, das Mohole-Projekt, auf László Moholy-Nagy, die Mohrsche Waage und die Mohs-Härteskala, aber nichts über Mohonk, während die Cranes durch die Erinnerung an einen Rechtspfleger namens I. C. Crane, um 1800, verewigt waren), fuhr er zum Werk von Depeyster Manufacturing, um seine Lohntüte abzuholen und Doug, dem Vorarbeiter, zu sagen, daß er in etwa einer Woche wieder zur Arbeit kommen würde, aber wegen seines Beins nicht mehr an der Drehbank stehen könne. Das Werk war in einem alten Ziegelgebäude an der Water Street in Peterskill untergebracht, zwischen baufälligen Lagerhäusern und den Ruinen der Ofen-, Drahtwaren-, Hut- und Wachstuchfabriken, die noch aus der Blütezeit Peterskills am Ende des letzten Jahrhunderts stammten. Die Industrien waren hier am Ufer des Hudson entstanden, um dessen Wasser sowohl zur Kühlung wie zur Abfallentsorgung zu nutzen und weil diese Lage eine gute Verbindung zum Hafen und zur Eisenbahn bot. Aber die Sattelschlepper hatten die Lastkähne und Frachtwaggons verdrängt, Wachstuch wurde durch Resopal ersetzt, die bulligen Küchenöfen durch Gas- und Elektroherde, der Bedarf an Draht für Korsettstäbe ließ rapide nach, und Hüte trug auch niemand mehr. Für Walter waren die Ruinen an der Water Street natürlich ebenso bedeutungslos wie Stonehenge oder die Große Pyramide von Gise. Irgendwer hatte dort irgendwann irgendwas hergestellt. Was das gewesen war, wer es gemacht hatte oder wozu, das interessierte ihn nicht die Bohne.
    Er parkte den Volvo auf dem Firmenparkplatz neben Peter O’Reillys vom Rostschutzanstrich gefleckten 55er Chevy, erwiderte den mürrischen Gruß des griesgrämigen Schwarzen mit dem Billardkugelschädel, der auf der Laderampe arbeitete und stets T-Shirts mit erhebenden Parolen wie »Bullen ins Schlachthaus!« oder »Freiheit für Huey« anhatte, dann schob er sich durch die große Stahltür mit der Aufschrift NUR FÜR BETRIEBSANGEHÖRIGE. Unglücklicherweise brachte ihn die schwere Tür aus dem Gleichgewicht, deshalb stolperte er in den höllischen Lärm der Werkshalle hinein wie ein betrunkener Staubsaugervertreter, fiel über seine Krücken und klammerte sich in Panik an die Stechuhr, um nicht kopfüber auf dem Betonfußboden zu landen. Im nächsten Moment überrollte ihn um ein Haar irgendein Idiot mit seinem Gabelstapler, und dann packte ihn Doug am Arm, führte ihn an der narbigen, verblichenen Ziegelmauer entlang in sein Büro.
    Walter war seit fast drei Wochen krank geschrieben, und während dieser Zeit hatte er allmählich vergessen, wie widerlich die Halle wirklich war. Höhlenartig und in Zwielicht getaucht, hie und da von flackernden Neonröhren erhellt, die an Aluminiumstangen von der Decke herabhingen, nach Schneidöl und Fettentferner stinkende, pausenlos dröhnende Maschinen, hätte es einer der unterirdischen Ausbeuterbetriebe aus Metropolis sein können. Menschen rannten in dreckigen grünen Kitteln herum, huschten durch limonadenfarbene Dampfwolken, schrien in dem Getöse aufeinander ein wie bleiche, hektische Drohnen. Walter gefiel es nicht, gefiel es überhaupt nicht. Als er neben Doug herstakte, den alten Kollegen zunickte – sie sahen triefäugig von ihren Drehbänken zu ihm auf, in Rauchschwaden gehüllt –, wußte er auf einmal mit Sicherheit, daß er nicht zurückkehren würde. Niemals. Selbst wenn sie ihm eine sitzende Arbeit in der Inspektion anboten, selbst wenn sie ihn zum Vorarbeiter, zum Präsidenten, zum Aufsichtsratsvorsitzenden

Weitere Kostenlose Bücher