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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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machten. Der Job war sowieso eine Idee von Hesh gewesen. Etwas Vorübergehendes, etwas zum Überbrücken der Zeit, bis er wußte, was er nach seinem Studium machen wollte. Alles hatte sich jetzt geändert.
    »Tja«, begann Doug, sobald er Walter in ein schmutziges Kabuff voller ölverschmierter Lumpen und Paletten unbrauchbarer Schwingzeuge und Krümpler gezogen hatte, die sich in wackligen Stapeln bis zur Decke auftürmten. »Das mit deinem Fuß, das haben wir gehört.«
    Hier drinnen, hinter der schmierigen Glastür, war der Lärm zu einem dumpfen, beständigen Brummen abgeschwächt, das Geräusch einer fernen Phalanx von Zahnärzten, die ihre Bohrer aufheulen ließen. Walter zuckte die Achseln. Er stützte sich schwer auf die Krücken, und der Beinstumpf tat ihm weh. »Na ja«, sagte er.
    Doug war etwa dreißig, ein Lebenslänglicher bei Depeyster Manufacturing, dessen hervorstechendstes Merkmal seine Oberlippe war: so breit, unbehaart und beweglich wie die eines Schimpansen. Einmal, als Walter die falsche Einstellung seiner Drehbank aufgefallen war, hatte Doug ihn daran erinnert, daß er nicht fürs Nachdenken bezahlt wurde, und dann, als belehrende Zusatzbemerkung, hatte er den Schlüssel seines beruflichen Erfolgs preisgegeben. »Ich bin anders wie der Rest von euch Typen hier, daß ihr’s nur wißt«, hatte er gesagt und bedeutsam genickt. »Und das könnt ihr mir glauben – ich hab nämlich einhundertfünf IQs.« Jetzt zündete er sich bedächtig eine Zigarette an, sah auf Walters Fuß hinunter und fragte: »Tut’s weh?«
    Wieder zuckte Walter die Achseln. »Hör mal, Doug«, sagte er. »Ich weiß nicht, ob ich je wieder arbeiten kann. Ich bin bloß gekommen, um mir meine Lohntüte abzuholen.«
    Doug mußte husten. Er krächzte eine Weile herum, zog noch einmal an der Zigarette und beugte sich dann vor, um in den Papierkorb zu spucken. Seine Augen tränten und er wirkte durcheinander, als hätte Walter ihn eben aufgefordert, zu tanzen oder die Quadratwurzel aus 256 zu nennen. »Hab ich doch nich hier«, sagte er schließlich. »Da mußt du zum Büro nach vorn gehn für.«
    Kurz darauf glitt Walter, auf der Suche nach dem Büro von Miss Egthuysen, über den Teppich eines Korridors, in dem ihn kühlende Brisen umspielten und einschmeichelnde Klänge von Violinen, Celli und Bratschen aus verborgenen Lautsprechern seine Ohren massierten. Topfpflanzen auf dem Boden, gerahmte Aquarelle an Wänden, die aussahen wie frisch gestrichen, und durch die Oberlichter flutete das Sonnenlicht herein wie ein Schauer aus Gold. Der Kontrast entging ihm nicht. Keine dreißig Meter von der Stelle, wo er über der Drehbank geschwitzt und die endlosen Minuten gezählt hatte, bis endlich um fünf die Sirene heulte, gab es das hier. Walter fühlte sich betrogen.
    Miss Egthuysen war die Sekretärin. Doug hatte ihren Namen und die Nummer ihres Büros – Nr. 1, vielleicht auch Nr. 7, Walter war nicht ganz sicher – auf einen zerknüllten Zettel geschrieben und ihn durch die Tür zum hinteren Teil des Werks, ins Allerheiligste geführt. Dann war er ohne ein Wort herumgewirbelt und im Zwielicht der Halle verschwunden. Walter fluchte halblaut vor sich hin – verfluchte Doug, verfluchte die Stunden, die er in diesem dreckigen Loch verschwendet hatte, verfluchte Huysterkark und Mrs. Van Wart, verfluchte die Ungerechtigkeit und Heimtücke dieser Welt, die genauso korrupt war wie Sartre sie in Philosophie II beschrieben hatte –, als er Nr. 1 fand, eine Milchglasscheibe mit nichts als der einen Ziffer drauf. Er probierte die Tür. Sie war verschlossen. Niemand antwortete auf sein Klopfen.
    Immer noch fluchend – er verfluchte jetzt Miss Egthuysen und die Bosse, die sie angestellt hatten, verfluchte die Eierköpfe in Schlips und weißem Kittel, die einmal im Monat aus ebendiesem Korridor in die Halle geschlendert kamen, um sich in Schnellheftern Notizen zu machen – wandte er sich um und sah noch einmal auf den Zettel in seiner Hand. Was er für eine Eins gehalten hatte, konnte durchaus auch eine Sieben sein. Oder eine Neun. Dougs Gekrakel war praktisch unleserlich – natürlich konnte man von Doug, bei seinem gigantischen IQ, kaum erwarten, daß er seine kostbaren geistigen Ressourcen auf so triviale Belange wie Schönschrift verschwendete. Walter wankte den Korridor wieder zurück, fand Tür Nr. 7 und drückte die Klinke.
    Es war offen.
    Mit den Krücken klappernd, preßte er sich gegen das Riffelglas und schob sich durch die Tür.

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