Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
wedelte, als wollte er Fliegen verscheuchen. »Raus hier!« hörte er sich sagen. »Verschwinde!«
    Darauf hatte Mardi nur gewartet: auf eine Öffnung, einen Riß in seinem Panzer, eine Stelle, in die sich die Nägel einschlagen ließen. Sie blickte kurz über die Schulter, um sich des Rückhalts zu vergewissern, richtete sich auf und stellte sich breitbeinig hin, bevor sie loslegte: »Aha, so springst du mit mir um, ja? Raus hier? Bin ich vielleicht dein Hund oder so was?« Sie hielt einen Sekundenbruchteil lang inne, um ihre Worte wirken zu lassen, dann verabreichte sie den Gnadenstoß: »Zufällig wohne ich hier, weißt du? Ich meine«, hier füllten sich die großen, schwarzgeränderten Augen mit Tränen, und ihre Stimme troff vor Gefühl, »ich bin schließlich deine Tochter.« Pause. »Auch wenn ich weiß, daß du mich haßt.«
    Der Kanake hinter ihr grinste nicht mehr, sondern scharrte mit den Füßen; der junge Crane, den offenbar eine spontane Lähmung der Gesichtsmuskulatur befallen hatte, war bereits halb zur Tür hinaus. Depeyster stand reglos da, schwankte angesichts des unschönen häuslichen Szenarios, das sich auf dem Perserteppich abspielte, zwischen Kummer und Verdrängung, während Marguerite Mott abwartend zusah. Würde er vor Wut losbrüllen, seine Tochter in den Arm nehmen und sie trösten, aus dem Zimmer stampfen und den nächsten Flug nach San Juan buchen? Er wußte es selbst nicht. Sein Hirn war gelähmt.
    Und dann dachte er plötzlich, unerklärlicherweise, an Trumans Sohn – an Walter –, daran, wie er im Büro vor ihm gestanden hatte, auf die Krücken gestützt. Sein Haar war länger, als es Depeyster lieb war, und auf seiner Oberlippe deutete sich ein erster, halbstarker Schatten von Schnurrbart an, aber er sah wie ein anständiger Junge aus, derb und mit festen Knochen, mit dem Unterkiefer, den Backenknochen und den blassen, verwaschenen Augen seines Vaters. Mardi hatte ihn an jenem Nachmittag in der Küche erwähnt. Sie kannte ihn. Hatte noch versucht, ihren Vater damit zu schockieren. Nun, das schockierte ihn keineswegs. Ihm genügte ein Blick auf diese Versager, mit denen sie sich herumtrieb, und er wünschte sich sogar, sie würde etwas mit einem wie Walter haben.
    »Na gut!« sagte sie, und nun war jegliche Spur von Kläglichkeit aus ihrer Stimme verschwunden; als sie es gleich noch einmal wiederholte, lag die Schlagkraft eines Kriegsrufs darin.
    Er antwortete nicht. Oder wenn er es doch tat, dann mit der gleichen scheuchenden Gebärde, wobei seine Hand aus eigenem Antrieb agierte. Nein, er war kein schlechter Bursche, dieser Walter. Ein bißchen konfus vielleicht, aber wer wäre das nicht, wenn die eigene Mutter verrückt wurde und sich zu Tode hungerte und der Vater mit eingeklemmtem Schwanz davonrannte – schlimmer noch, davonrannte und den Sohn bei einer Bande von Scheißliberalen und Genossen und derlei Gesindel aufwachsen ließ. Es war eine Schande. Der Junge hatte sein Leben lang nur eine Version der Geschichte gehört – die falsche Version, die verdrehte, verlogene, entstellte Version. Natürlich war es lediglich ein Anfang gewesen, ein Schuß ins Blaue, eine einsame Stimme, die sich gegen das Geheul der Masse erhob, aber immerhin hatte Depeyster versucht, ihm an jenem Nachmittag ein paar Dinge klarzumachen. Angefangen bei seinem Vater.
    Patriot, hatte Walter angewidert gesagt. Was meinen Sie damit, er war ein Patriot?
    Ich meine damit, daß er sein Vaterland geliebt hat, Walter, und auch dafür gekämpft hat – in Frankreich und in Deutschland, und zu Hause, hier in Peterskill. Depeyster hatte die Finger zum Dreieck aneinandergelegt, sich tief in seinen Sessel zurückgelehnt und dabei Walters Augen beobachtet. Es lag etwas darin – Wut natürlich, Verwirrung und Verletztheit –, aber zugleich etwas anderes: Walter wollte ihm glauben. Für Depeyster war das eine Offenbarung gewesen. Mochten Kinder ihre Eltern zurückstoßen, mochte Mardi herumstolzieren wie eine Hure und ihren billigen Radikalismus am Eßtisch feilhalten, ihrem Vater ins Gesicht spucken und alles unterminieren, was der Gesellschaft heilig war, hier war einer, der bereit war, sich umstimmen zu lassen. Seine Eltern – Adoptiveltern: Juden, Kommunisten, der letzte Dreck – hatten ihn sein Leben lang mit Haß und Lügen und mit gemeiner Propaganda gefüttert, bis er fast daran erstickt war. Er war Lehm. Lehm, der geformt werden konnte.
    Glauben Sie, die Vorfälle von Peterskill waren unwichtig? fragte

Weitere Kostenlose Bücher