Worldshaker
Klasse an. »Ignoranten! Dummköpfe! Geistig Zurückgebliebene! Ein spitzer Winkel!« Er hackte mit dem Kreidestück gegen die Tafel, bis es zerbrach und auf den Boden fiel. Mit seinem Absatz zermahlte Mr. Gibber es zu Staub.
»Seht euch den spitzen Winkel an«, fuhr er fort. »Sauber, scharf und gesund. Ein spitzer Winkel ist ein guter Winkel. Nun, kann mir jemand sagen, was ein schlechter Winkel ist?«
Er rollte mit seinen Augen und visierte Col an. Aber in Professor Twillips Geometriestunden war nie von guten oder schlechten Winkeln die Rede gewesen.
Mr. Gibber zog das andere Kreidestück hinter dem anderen Ohr hervor und zeichnete zwei weitere Linien, die im Winkel von etwa 130° aufeinander stießen.
»Das ist ein schlechter Winkel. Seht nur, wie weit er aufklafft, wie lax und undiszipliniert. Schlampig, schlapp, entartet. So etwas nennen wir einen stumpfen Winkel. Eine wahre Schande. Lasst mich bloß keinen von euch dabei erwischen, wie er einen stumpfen Winkel zeichnet, 4a.«
Er griff sich den Schwamm und wischte den stumpfen Winkel von der Tafel.
»Nun, wer von euch kann mir sagen, welches der beste Winkel von allen ist? Keiner? Der beste und schönste Winkel ist der rechte Winkel.«
Er zeichnete einen rechten Winkel auf die Tafel und trat etwas zurück, um ihn zu bewundern. »Da! Habt acht auf den rechten Winkel, Jungs. Geradeheraus und aufrecht. Merkt auf und nehmt euch ein Beispiel.« Er fuhr herum und musterte die Klasse. »Hoch die Geometrie-Dreiecke!«
Nach einer wilden Kramerei hielten die Jungen ihre Geo-metrie-Dreiecke in die Höhe. Mr. Gibber griff sich das nächstbeste und schwenkte es durch die Luft.
»Das hier hilft euch bei den rechten Winkeln, 4a. In eurem Alter habt ihr noch keine Zeit gehabt, Festigkeit und Charakterstärke zu entwickeln. Ihr habt immer noch lauter kleine hässliche Streiche im Kopf. Was, Prewitt? Deswegen haben wir Geometrie-Dreiecke für euch. Zeichnet eine Linie bei 0° und eine bei 90°. So bekommt ihr einen perfekten rechten Winkel hin. Selbst du, Trant.«
Er gab das Geometrie-Dreieck zurück. »Ich will von jedem von euch fünfzig rechte Winkel. Und alle deutlich mit der Aufschrift versehen: ›Rechter Winkel‹. Los jetzt.«
Es wurde still, als alle ihre Übungshefte öffneten und ihre Geometrie-Dreiecke anlegten.
»Und ich werde durch die Reihen gehen und euch kontrollieren. Sollte einer von euch unmoralische Winkel verfertigen, so wird er die ganze Macht meiner Nummer Vier zu spüren bekommen.«
Mr. Gibber beschränkte seine Kontrollgänge auf Schufter, Aufsteiger und Kriecher. Manchmal ergoss er sich in den wütendsten Tiraden gegenüber Schülern, die zaghaft protestierten: »Aber Sir, Sie sind gegen meinen Ellbogen gekommen!«
So verbrachten sie eine ganze Unterrichtsstunde damit, rechte Winkel zu zeichnen und zu beschriften.
17
Den Rest des Tages ging es auf ähnliche Weise weiter. In Chemie erfuhren sie etwas über den Unterschied zwischen der Reinheit der Elemente und der Verdorbenheit der Verbindungen. In Musik sagten sie den Text von Chorälen des Empire auf; in Algebra ging es darum, den ehrlichen Zahlen den Vorzug zu geben vor den verschlagenen, geheimnisvollen Xen und Ypsilons. Mr. Gibbers Unterrichtsstunden waren durch die Bank sehr moralisch und meilenweit entfernt von allem, was Professor Twillip Col beigebracht hatte.
In einer Klassenarbeit in Religion erlebte Col zum ersten Mal Mr. Gibbers Kneifer in Aktion: Eine lange Stange mit einer Wäscheklammer an einem Ende und einer Schnur, um die Klammer zu betätigen. Während die Schüler die Fragen beantworteten, patrouillierte Mr. Gibber zwischen den Pulten auf und ab. Als er dazu keine Lust mehr hatte, griff er sich mittels der Wäscheklammer den Füllfederhalter eines Schülers drei Plätze weiter.
»Du schreibst zu schnell, Nebblethwaite!«, fuhr er ihn an. »Was glaubst du denn, wie viel ich korrigieren will?«
Er hob den Füllfederhalter hoch, zog an der Schnur und deponierte den inkriminierten Gegenstand auf Nebblethwaites Kopf. »Konzentriere dich!«, schrie er. »Geschummelt wird nicht!«
Im Laufe des Vormittags gab es erst eine kurze Pause und dann eine längere zu Mittag. An einem aufgebockten langen Tisch auf dem Schulhof teilten zwei Gesindlinge das Schulessen aus: Pasteten, Würstchen und Sandwichs.
Die Würstchen sahen ganz passabel aus, aber Flarrow klärte Col gleich auf: »Diesen Dreck essen wir nicht. Wir bedienen uns am Picknickkorb der Squellinghams.«
Der Korb
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