Worm
reparieren, so dass niemand anderes sie ausnutzen konnte. Die neue Variante des Wurms wies an dieser Stelle des Codes einen Fehler auf. Jeder, der eine Liste der infizierten Computer besaß und diesen Fehler zu nutzen verstand, konnte damit unter Umständen das gesamte Botnetz kapern. Er musste nur einen Weg finden, seinen eigenen Code einzufügen – ein Ansatz, der sich später zwar als unbrauchbar erwies, auf den man zu dem Zeitpunkt aber noch große Hoffnungen setzte. Dieses Wissen gehörte zu den am besten gehüteten Geheimnissen der Gruppe, und wenn Rick jetzt den Chinesen eigenmächtig die abgefangenen Conficker-Daten lieferte, wer weiß, was er ihnen sonst noch steckte? Auf der Liste der infizierten Systeme standen immerhin mehrere neuralgische Netzwerke der US -Regierung, ganz zu schweigen von den Computernetzwerken, die Banken und Konzernen gehörten. Wie um Himmels willen wollte da irgendjemand der chinesischen Regierung ein Instrument an die Hand geben, mit dem sie diese Netzwerke aus der Ferne kontrollieren konnte? Und wenn man bedachte, dass China ganz oben auf der Liste der Verdächtigen rangierte, wie konnte da jemand, dem das öffentliche Interesse am Herzen lag, auch nur daran denken, den Chinesen detaillierte Angaben über die Strategie der »Kabale« gegen den Wurm in die Hände zu spielen?
Vor allem Dre Ludwig war außer sich. Hatte Rick die Daten verkauft? Einige in der Gruppe verdächtigten Rick sowieso schon, er schlage Kapital aus seinem Insiderwissen. Wie jeder wusste, war Rick mit David Ulevitch befreundet, dem Gründer und CEO von Open DNS , ebendem Unternehmen, das die »Kabale« mit seiner Reparatursoftware für Conficker so alarmiert hatte. Für Dre roch das schwer nach Verrat. Es war genau das, was er denjenigen in der »Kabale« zutraute, die er abschätzig als »Geschäftsmänner« bezeichnete. Immerhin verdiente Rick sein Geld unter anderem damit, Daten an zahlende Kunden zu verkaufen, was der Philosophie, wie sie zum Beispiel Andre DiMino mit Shadowserver vertrat, prinzipiell widersprach und im Kern auf seine hypothetische Frage zurückverwies: Angenommen, du wüsstest, dass das Haus von jemandem in Gefahr ist, Feuer zu fangen. Würdest du ihn dann einfach warnen oder versuchen, ihm diese Information zu verkaufen?
Dre Ludwig war ein Purist vom selben Schlag, gleichzeitig aber auch auf eine Art unnachgiebig und streitlustig, wie Andre das nicht war. Seit dem Rausschmiss von der Highschool in Kalifornien hatte er einen steilen Aufstieg in der Szene hingelegt. Er hatte Computerkurse an einem Community College belegt und dank seiner herausragenden Programmierkenntnisse Jobs bei mehreren Unternehmen in der Gegend gefunden, wo er es wie T. J. Campana und Andre DiMino zum ersten Mal mit Schadsoftware zu tun bekam – und schnell süchtig wurde. Sein Ehrgeiz war geweckt: Diese Kerle meinen, sie seien schlauer als ich? Die folgenden zehn Jahre sammelte er Referenzen und erwarb sich einen Ruf in der Szene. Nachdem er eine Weile mit Rodney Joffe bei Neustar als Techie-Wunderkind gearbeitet hatte, richtete sich Dre als unabhängiger Berater im zehn Kilometer südlich von Washington D. C. gelegenen Alexandria ein, wo jemand mit seinen Fähigkeiten nur die Hand heben musste und schon Regierungsaufträge im Dutzend hatte. Dre, ungestüm und überheblich, hatte eine gewisse Art, sich mit seinem ausladenden Bauch vor den Leuten aufzubauen und sie mit einem Blick aus seinen braunen Augen zu fixieren, bevor er ihnen irgendeine Unverschämtheit an den Kopf warf.
Was die »Kabale« anging, gab er sich keinen Illusionen hin. Er sah die vielen unterschiedlichen Motive, privater wie professioneller Art, und hatte damit im Prinzip auch kein allzu großes Problem. An dem Punkt aber, an dem jemand privaten Motiven Vorrang vor dem eigentlichen Ziel einräumte, war für ihn Schluss. Auf die Spur von Ricks Kontakten zu den Chinesen hatte ihn ein anderes Mitglied der Gruppe gebracht, dem einige chinesische IP -Adressen auf den Logs und Servern der »Kabale« aufgefallen waren und der Dre daraufhin eine E-Mail geschickt hatte: »Hey, Mann, weißt du eigentlich, was dein Junge da treibt?«
Dre glaubte genau zu wissen, was »sein Junge« da trieb. So, wie er es sah, missbrauchte Rick seinen Zugang als Insider, seine Daten und sein Wissen, um ein Projekt mit wem auch immer da drüben durchzuziehen, ohne dabei an etwas anderes als an seinen persönlichen Gewinn zu denken. »Das«, sagte er gegenüber einem
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