Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus
Malerarbeiten« führte, in dem er jede Stunde protokollierte, die er seinen Bildern widmete. Viele davon hielten seinem Urteil nicht stand, wurden unvollendet liegen gelassen oder verbrannt. Zu den bekanntesten unter den erhalten gebliebenen Bildern Stifters gehören »Holländische Mondlandschaft«, »Der Wasserfall im Hochgebirge«, »Die Ruine Wittinghausen I und II«, »Fabrikgarten in Schwadorf«, »Motiv aus Neuwaldegg I und II«, »Blick auf die Beatrixgasse in Wien«, »Blick auf Wiener Vorstadthäuser«, »Umgestürzte Baumwurzel«, »Felsstudie I und II«, »Wolkenstudie I und II«, »Bewegung I und II«, »Waldrücken«. Aber auch wenn er gelegentlich eines seiner Bilder verkaufte, konnte er davon nicht leben. Sein tägliches Brot musste er sich zunächst in verschiedenen Anstellungen als Hauslehrer verdienen.
ERZIEHER UND MENSCHENFREUND
Sowohl seiner weit reichenden Kenntnisse in den Natur- und Geisteswissenschaften als auch seiner pädagogischen Fähigkeiten wegen wurde Stifter bald zu einem gefragten Privatlehrer in den adligen Häusern Wiens. Zu seinen bekanntesten Schülern zählte der älteste Sohn des Fürsten Klemens von Metternich, des Staatskanzlers und leitenden Ministers Österreichs, den er zwischen 1843 und 1846 in Mathematik und Physik unterrichtete. Stifters erzieherisches Ideal beruhte auf dem Gedanken, dass eine umfassende Bildung nur durch ein ausgewogenes Verhältnis von wissenschaftlichen und musischen Fächern zu gewährleisten sei, und er orientierte sich dabei am Vorbild seiner eigenen Lehrer in Kremsmünster, aber auch an den Ideen von Jean-Jacques Rousseau und vor allem von Wilhelm von Humboldt. Sein pädagogisches Bekenntnis lautete: »Wer sittlich frei ist, kann es staatlich sein, ja ist es immer; den andern können alle Mächte der Erde nicht dazu machen. Es gibt nur eine Macht, die es kann: Bildung. Darum erzeugte sich in mir eine ordentliche krankhafte Sehnsucht, die da sagt: ›Lasset die Kleinen zu mir kommen‹, denn durch die, wenn der Staat ihre Erziehung und Menschen in erleuchtete Hände legt, kann allein die Vernunft, die Freiheit, gegründet werden, sonst ewig nie!« Für dieses Ideal setzte er sich nicht nur als Hauslehrer, als Verfasser journalistischer Beiträge und als Berater der oberösterreichischen Landesregierung in bildungspolitischen Fragen sowie als Schulrat ein, sondern auch in seinem dichterischen Werk – vor allem in den »Feldblumen« und im »Nachsommer« –, in dem er frei von den Zwängen staatlicher Aufsichtsbehörden seinen utopischen Erziehungs- und Bildungsentwürfen freien Lauf lassen konnte.
Als Stifter 1850 zum Volksschulinspektor und Schulrat ernannt wurde, bemühte er sich um eine umfassende Schulreform. Er gründete in Linz eine Realschule, war mit der Einrichtung einer Lehrerbildungsanstalt beschäftigt, reiste zu Schulinspektionen über Land, schrieb Berichte, saß in verschiedenen Kommissionen und erarbeitete zusammen mit seinem Freund Johannes Aprent ein »Lesebuch zur Förderung humaner Bildung«. Neben all diesen Aufgaben setzte er sich seit 1853 als Konservator der Denkmalpflege für die Erhaltung und Instandsetzung alter Kunstschätze des Landes ein.
»FELDBLUMEN« – DAS MODELL EINER IDEALEN BILDUNGSANSTALT
Bereits in der frühen Erzählung »Feldblumen« (1841) findet sich das Modell einer idealen Bildungsanstalt, wie sie Stifter seit der griechischen Antike bis hin zur Epoche der Aufklärung immer wieder, wenn auch nur punktuell und annäherungsweise, verwirklicht sah.
Die hier entworfene Bildungseinrichtung, Tusculum genannt, sollte eine am See gelegene kleine Siedlung mit zwei bis vier Landhäusern in griechischem Stil sein, in der sich auch eine Sternwarte, ein physikalisches Laboratorium, gläserne, lichtdurchflutete Unterrichtsräume, Blumen-, Obst- und Gemüsegärten sowie verschiedene Tiergehege befänden. In jedem der Häuser sollte ein junges Ehepaar wohnen, die beide zugleich wissenschaftlich und künstlerisch tätig wären und sich auf diese Weise bemühten, eine »Schönheitswelt« aufzubauen und »das Reich der Vernunft auf Erden zu gründen«.
Der Schulalltag in Österreich sah Mitte des 19. Jahrhunderts dagegen anders aus: schlecht bezahlte Lehrer, heruntergekommene Schulgebäude, weit verbreitete Kinderarbeit und eine rückständige Pädagogik.
Trotz der anfänglichen Freude über die Vielfalt seiner Aufgaben ließen ihn die hohe Arbeitslast und die ständigen Auseinandersetzungen mit den Behörden
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