Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus
allmählich mürbe werden: »(D)a habe ich wohl selber einen Fehler gemacht, dass ich die Ameisen, welche das Amt oft im Kopf anhäuft und dafür die Singvögel im selben nicht aufkommen lässt, zu gering anschlug.« Hinzu kam auch, dass die mit der Revolution 1848 erwarteten politischen und sozialen Fortschritte, auf die auch Stifter hoffte, nicht nur ausblieben, sondern sich eher noch ins Gegenteil verkehrten. Seine Vorschläge und Anträge wurden immer öfter abgelehnt, seinem »Lesebuch« wurde die Genehmigung für den Schulgebrauch versagt und die Bildungsreformen wurden zurückgedrängt. Als schließlich die Schulen 1855 der kirchlichen Aufsicht unterstellt wurden, sah sich Stifter nur noch zum bloßen Vollzugsorgan geistlicher Funktionsträger degradiert. Als ihm dann ein Jahr später auch noch die Inspektion der Linzer Realschule entzogen wurde, hätte er sein Amt als Schulrat am liebsten niedergelegt, doch war er auf das damit verbundene Jahresgehalt angewiesen, um sich einigermaßen frei von Existenznöten seiner eigentlichen Passion, dem Schreiben, widmen zu können.
ERZÄHLER UND DICHTER
Zwischen 1840 und 1850 veröffentlichte Stifter 24 Erzählungen, die ihn als Autor schnell bekannt machten. Diese Erzählungen wiesen häufig autobiografische Züge auf – Kindheitserinnerungen, der Schmerz über die gescheiterte Beziehung mit Fanny, das hohe Künstlerideal und das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit. In ihrem Stil waren sie noch stark an die romantische Dichtung eines E.T.A. Hoffmann und Jean Paul angelehnt. »Der Condor« (1840), sein Erstlingswerk, schildert das Erlebnis einer abenteuerlichen Ballonfahrt, die die Flucht aus der beengten bürgerlichen Welt und die Sehnsucht nach dem Grenzenlosen symbolisiert. »Das Heidedorf«, das im selben Jahr erschien, handelt von dem Knaben Felix, der nach enttäuschter Liebe sein Dorf verlässt und in die Fremde zieht, um dann Jahre später als berühmter Gelehrter und Dichter – als »König der Herzen« – zurückzukehren und sich ganz in den Dienst der dörflichen Gemeinschaft zu stellen. Ein Grundmotiv, das in Stifters Erzählungen immer wiederkehrt, ist der plötzliche, schicksalhafte Einbruch menschlichen Leids in die erhabene Schönheit der Natur, die sich davon jedoch fast unberührt zeigt. So zum Beispiel in der Erzählung »Der Hochwald« (1841), in der die märchenhafte Ruhe und Idylle böhmischbayerischer Waldlandschaften von unerwarteten Kriegswirren heimgesucht wird. Stifter beschreibt mit anschaulicher, metaphernreicher Bildhaftigkeit einen der Schauplätze, den Plöckensee, an dem diese zwiespältige Regungslosigkeit der Natur deutlich wird: »(E)in unheimlich Naturauge … – tiefschwarz – überragt von der Stirne und Braue der Felsen, gesäumt von der Wimper dunkler Tannen – drin das Wasser regungslos, wie eine versteinerte Träne.«
1853 erschien »Bunte Steine«, eine Sammlung kurzer Geschichten, die Stifter zwar wiederholt als Kindergeschichten bezeichnete, die in Wirklichkeit aber keine Geschichten für, sondern über Kinder sind. Berühmt geworden ist die »Vorrede« zu diesen sechs Geschichten, von denen jede einen Gesteinsnamen symbolisch als Titel trägt – Granit, Kalkstein, Turmalin, Bergkristall, Katzensilber, Bergmilch. In der Vorrede wird die Theorie des »sanften Gesetzes« entfaltet, welches Stifters gesamtes künstlerisches Werk unterschwellig durchzieht. Im Kern besagt dieses Gesetz, das die landläufigen Ansichten von Groß und Klein außer Kraft setzen will, nichts anderes, als dass selbst das Kleinste, Unbedeutendste und Unscheinbarste noch auf das Ewige hin durchsichtig zu werden vermag. Groß in der Geschichte der Menschen seien nicht die extremen Gefühlsausbrüche wie Zorn, Hass oder Begierde, sondern vielmehr ein »ganzes Leben voll Gerechtigkeit, Einfachheit, Bezwingung seiner selbst, Verstandesgemäßheit, Wirksamkeit in seinem Kreise, Bewunderung des Schönen, verbunden mit einem heiteren, gelassenen Sterben«. Exemplarisch wird dieses Gesetz in Kindergeschichten entwickelt, weil diese nach Stifter der Natur und dem Urzustand der Menschheit noch am nächsten stehen. In der damaligen Zeit der gesellschaftlichen und politischen Umbrüche war ihnen jedoch kein Erfolg beschieden. Sie wurden als eine Wunschwelt schöner Harmonie und gegenwartsferner Idylle abgetan und als eine Dichtung bespöttelt, die nur die »Käfer und Butterblumen« zu schildern vermag (Friedrich Hebbel).
STIFTERS »STUDIEN« –
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