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Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus

Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus

Titel: Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brockhaus
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letzten noch ausstehenden mündlichen Prüfungen, deren Termine er schlicht »vergessen« hatte. Stattdessen gab er sich, was seine gemeinsame Zukunft mit Fanny betraf, lieber düsteren Vorahnungen hin: »(E)in Fremdling wird kommen und mit kalter Hand Dein Herz dahinführen, das mich und Dich unendlich glücklich gemacht hätte.« Als Stifter dann im Jahr 1832 sein Studium abbrach und auch bei seinen Bewerbungen um amtliche Lehrstellen nicht den nötigen Ehrgeiz zeigte, kam es ein Jahr später zum endgültigen Bruch. In der Folgezeit ließ er sich mehr und mehr vom großstädtischen Leben treiben, verkehrte in den vornehmen Häusern Wiens, wo er nicht selten als Hauslehrer tätig war, und zählte bald einen Kreis junger Aristokraten zu seinen Freunden, mit denen er über philosophische und ästhetische Ideale schwärmen konnte. Aus seiner Liaison mit der Putzmacherin Amalie Mohaupt, die aus einfachen Verhältnissen stammte, wurde bald eine Verlobung und schließlich sogar eine Ehe. Fanny blieb zwar zeitlebens Stifters »heiliger Engel« und »Braut seiner Ideen«, doch war es wohl Amalies zupackende Lebensart, die dem eher etwas kindlich gebliebenen Träumer den notwendigen Rückhalt gab, um seine noch etwas wirren Ideen in geordnetere Bahnen zu lenken.
    MALER UND ZEICHNER
    Dass sich Stifter nicht an einen Brotberuf binden wollte, war ihm bald klar, doch noch blieb er unentschlossen darin, ob er sich der dichtenden oder der bildenden Kunst zuwenden sollte. Die Dichtkunst erschien ihm zu erhaben, als dass er es gewagt hätte, sich ganz in ihren Dienst zu stellen. Selbst als er schon mit mehreren Erzählungen bekannt geworden war, gab er die Landschaftsmalerei als seinen eigentlichen Beruf an. Stifters künstlerischer Anspruch als Maler und Zeichner war es, »das Göttliche« in seinen »reizenden Gewandungen« darzustellen, und er griff dabei auf die religiöse Metaphorik von der Natur als dem Kleid Gottes zurück, die er mit seiner Kunst ästhetisch ins Werk zu setzen versuchte. Bis etwa 1835 war dieser Versuch durch das fast naive Bemühen um strenge Naturtreue bestimmt, was seinen Bildern oft den Charme von Sonntagsmalereien verlieh. Doch bereits bei der Akademieausstellung von 1839, bei der er mit fünf Gemälden vertreten war, zeigten sich Tendenzen, die über eine bloße Biedermeieridylle hinausweisen und sich in späteren Arbeiten noch verstärkten. Statt der unverfälschten Wiedergabe imposanter, erhabener Gebirgslandschaften – etwa »Königssee und der Watzmann« – traten nun alltägliche Motive in den Vordergrund, bei denen es vor allem um Stimmungsgehalte und atmosphärische Zustände als Ausdruck eines Weltgefühls ging. Mit seinen späteren Wolken- und Felsstudien, seinen Fluss- und ungarischen Landschaftsbildern, in denen alles auf den Augenblickseindruck abgestellt ist, gelangte er schließlich zur Originalität eines neuen künstlerischen Ansatzes, der bereits Stilelemente des aufkommenden Impressionismus vorwegnahm. All diese Bilder führten ins Zentrum seiner Kunstanschauung, die darin bestand, die Ruhe in der Bewegung und das Flüchtige im Festen so einzufangen, dass die Natur in ihrer »Lebendigkeit« – etwa in den Oberflächenstrukturen von Steinen und geologischen Formationen oder im Schattenspiel des reflektierenden Lichts – auf eine höhere, religiöse Ordnung hin durchsichtig werden konnte.
    AUTODIDAKT DER LANDSCHAFTSMALEREI
    Noch im Jahr 1847 führte Wiens »Neues allgemeines Künstlerlexikon« Stifter unter dem Vermerk: »Stifter, Adalbert: Maler zu Wien, ein jetzt lebender Künstler. Er widmet sich dem Genrefach und ist auch als belletristischer Schriftsteller bekannt.«
    Neben dem Zeichen- und Malunterricht, den er in Kremsmünster erhalten hatte, versuchte er sich als Autodidakt in der Landschaftsmalerei zu vervollkommnen. Entscheidende Prägung erhielt er dabei durch die Wiener Landschaftsmalerei, die sich seit 1800 zu einer eigenen Stilrichtung, dem so genannten Wiener Biedermeier, herausgebildet hatte und deren Kennzeichen die präzise Schilderung des Naturwirklichen war.
    Vorbilder waren der Maler Johann Fischbach, der Stifter seine Gemälde zum Selbststudium zur Verfügung stellte, sowie die holländische Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts, die er in den großen Museen Wiens kennen gelernt hatte.
    Welch hohen Anspruch Stifter an sich selbst als bildenden Künstler stellte, zeigt sich darin, dass er seit Beginn des Jahres 1854 14 Jahre lang ein »Tagebuch über

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