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Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus

Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus

Titel: Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brockhaus
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Sein Vater, von Beruf Marinezahlmeister, war ein sympathischer, jedoch willensschwacher Mann, den er später als den liebenswerten Mr. Micawber in »David Copperfield« porträtierte und danach noch einmal für den nicht ganz so liebenswerten Mr. Dorrit als Modell nahm. Die Mutter war mit ebenso wenig praktischem Sinn begabt, doch fehlte ihr die ausgleichende Liebenswürdigkeit. Als Dickens fünf Jahre alt war, zog die Familie nach Chatham bei Rochester und weitere fünf Jahre darauf nach Camden Town in London. Dort häufte der Vater so hohe Schulden an, dass er 1824 im Marshalsea-Gefängnis in Schuldhaft genommen wurde, wohin ihm seine Frau und die jüngeren Kinder aus Kostengründen folgten. Dem zwölfjährigen Charles blieb der Gefängnisaufenthalt erspart, doch dafür traf ihn ein Schicksal, das er als noch erniedrigender empfand: Zur Aufbesserung des Familienbudgets hatte ihm sein Vater einen Arbeitsplatz in Warrens Schuhputzmittelfabrik besorgt, wo er Etiketten auf Schuhputzmittelflaschen kleben musste. Obwohl diese Anstellung eher eine Gefälligkeit seitens des Fabrikbesitzers war und die nicht besonders anstrengende Arbeit nur einige Monate dauerte, hatte Dickens sie als eine so tiefe Erniedrigung empfunden, dass er nie darüber sprach und sie erst spät in einem autobiografischen Fragment niederschrieb, das er niemandem außer seinem Freund John Forster zu lesen gab. Während der kurzen Zeit in der Schuhputzmittelfabrik hatte er das Gefühl, dass die Blüte seines jungen Lebens in der Knospe erstickt und er um jegliche Aussicht auf höhere Bildung gebracht werde. Vor allem der Mutter hat er nie verziehen, dass sie ihn auch dann noch in die Fabrik schicken wollte, als die Schulden des Vaters dank einer kleinen Erbschaft bezahlt waren. Die Beschreibung, die Dickens in dem autobiografischen Fragment von seinem Arbeitsplatz gab und die in ähnlicher Form in »David Copperfield« wiederkehrte, mutet wie das Modell für all die gefängnisähnlichen Häuser an, die in seinen Romanen so oft thematisiert werden. Und auch das ebenso häufig wiederkehrende Gegenbild des Wassers wurde hier vermutlich vorgeprägt, denn von seinem »Gefängnis« aus konnte er durch ein Fenster auf die Themse sehen. Damals musste sich in seinem Bewusstsein wohl dieser von ihm immer wieder thematisierte Gegensatz von Gefängnis und Wasser eingebrannt haben, wobei das Wasser nicht nur die ersehnte Freiheit symbolisierte, sondern ebenso die Gefahr des Ausgesetzt- und Verlorenseins. Auch die Erbschaft, die ihn schließlich erlöste, wurde zu einem Motiv, das sein gesamtes Romanwerk durchzieht.
    JUGENDJAHRE
    Nach zweijährigem Besuch einer privaten Oberschule wurde Dickens 1827 Gehilfe in einer Anwaltskanzlei, wo er sich im Selbststudium nebenher die Kurzschrift beibrachte. Schon ein Jahr später setzte er diese Qualifikation in klingende Münze um und wurde freiberuflicher Gerichtsreporter, bis er es 1832 zum Zeitungsreporter für Parlamentssitzungen brachte. Schon damals entwickelte er eine geradezu uhrwerkhafte Arbeitsdisziplin, die es ihm ermöglichte, selbst unter Zeitdruck Leistungen von höchster Präzision zu erbringen. 1829, als er zum ersten Mal finanziell auf eigenen Füßen stand, verliebte er sich in Maria Beadnell, die Tochter eines Bankmanagers, wurde aber nach dreijähriger Werbung von ihr abgewiesen – ob unter dem Druck ihrer Eltern oder aus freien Stücken ist nicht ganz klar. Dickens trug das Bild seiner Jugendliebe lange im Herzen und verewigte es später in der Gestalt Dora Spenlows in »David Copperfield«. Als es 1855 zu einem Wiedersehen mit ihr kam, war er so desillusioniert, dass er die verblühte Frau in »Little Dorrit« als dümmlich kichernde Flora Finching auftreten ließ. Schon bald nach der Abweisung durch Maria bemühte er sich um Catherine Hogarth, die älteste Tochter eines befreundeten Theaterunternehmers, deren eher träges Temperament ihm berechenbarer erschienen sein mag als die Launen der koketten Maria.
    1836 heiratete er Catherine und führte mit ihr eine typisch viktorianische Ehe. Während er an seiner Karriere arbeitete, kümmerte sie sich um den Haushalt und schenkte ihm in kurzen Abständen insgesamt zehn Kinder. Doch die Tatsache, dass er schon während seiner Bemühungen um Catherine eine tiefe, wenngleich nur spirituelle Liebe für die zweite der Hogarth-Töchter, die erst 14-jährige Mary, entwickelte, verhieß für die junge Ehe nichts Gutes. Mary starb schon mit 17 Jahren und hinterließ

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