Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus
gesellschaftlichen Verhältnisse gaben ihm die Bewohner der Kleinstadt, da er mit Angehörigen aller Schichten und Stände Umgang hatte: mit Patrizierabkömmlingen wie auch mit Handwerkersprösslingen, mit Amt- und Kaufleuten oder auch mit Dienstmädchen und Tagelöhnern.
Storm lernte schon früh die »Kunst des Erzählens« bei der Bäckerstochter Lena Wies, der er später eine Erzählung widmen sollte. Sie brachte ihm die heimische Sagen- und Märchenwelt nahe und trug die Erzählungen so vor, dass die Gestalten »wie aus geheimnisvoller Tiefe, leibhaftig vor den Hörern« aufstiegen. Das Erzählen übte er mit seinen Spielkameraden, am liebsten in einem großen, leeren Fass, in dem sie sich von der Außenwelt abgeschirmt ganz ihrer Einbildungskraft überlassen konnten. Anklänge daran finden sich in Storms späterer Märchensammlung »Geschichten aus der Tonne« aus dem Jahr 1846.
Nach dem Tod des Großvaters Woldsen zog die Familie Storm 1821 in dessen stattliches Patrizierhaus in der Hohlen Gasse um. Storm wurde noch im selben Jahr in die »Klippschule« der Mutter Amberg geschickt, eine private Grundschule einer alten Dame. 1825 kam er in die Quarta des Gymnasiums, der Husumer »Gelehrtenschule«, deren Unterricht aber anscheinend nicht sonderlich anspruchsvoll war. Jedenfalls stellte Storm fest, dass er in seiner Jugend »niemals etwas Ordentliches« gelernt, ja sogar »das Arbeiten … erst als Poet gelernt« habe. In der Gelehrtenschule habe man nur »geistige Hausmannskost« geboten, aber keine Werke gegenwärtiger Dichter. Zu Hause verschlang er Schillers Dramen oder griff zu Werken von Vertretern des Göttinger Hains, von Matthias Claudius und Gottfried Bürger. Storms früheste erhaltene Gedichte stammen von 1833; 1834 veröffentlichte er sein erstes Gedicht im »Husumer Wochenblatt«.
Seine Eltern gewährten ihm großen Freiraum: »Erzogen wurde wenig an mir; … von Religion oder Christentum habe ich nie reden hören«. Auch der Religionsunterricht blieb fruchtlos. Storm hatte »durchaus keinen Glauben aus der Kindheit her«. Er nahm auch später keinen Glauben an, stand dem Christentum eher ablehnend gegenüber. 1835 verließ Storm die Gelehrtenschule und seine Heimatstadt, um sich in der freien Hansestadt Lübeck am renommierten Gymnasium »Katharineum« für das Studium zu rüsten. Auch außerhalb der Schule lernte er die neuere Literatur kennen – Goethes »Faust« sowie Eichendorffs und Heines Gedichte. Wichtige Anstöße bekam Storm von seinem Mitschüler Ferdinand Röse, der ihn zudem mit Lübecks gebildeter Gesellschaft und dem jungen Dichter Emanuel Geibel bekannt machte. Seine eigenen Gedichte aus dieser Zeit hielt Storm später für Formkunst ohne Gefühlsgehalt.
STUDIUM IN KIEL UND BERLIN
Im April 1837 begann Storm an der Landesuniversität Kiel sein Studium der Rechtswissenschaften, weil man dieses Fach »ohne besondere Neigung studieren kann« und sein »Vater ja Jurist« gewesen sei. Enttäuscht von der Studentenschaft bemerkte er, dass ein Student entweder »viel kneipt und trinkt« oder »arbeitsam, eingezogen, einseitig oder einfältig« sei. Storm widmete sich anderen Dingen: Er verfasste mehrere Gedichte und sein erstes Prosastück, das Märchen »Hans Bär«, für Bertha von Buchan, die er 1836 als zehnjähriges Mädchen kennen gelernt hatte. Im Oktober verlobte er sich mit der siebzehnjährigen Emma Kühl, der sein erstes überliefertes Gedicht von 1833 galt. Die Liebe verlief aber offenbar nicht sehr glücklich, denn schon im Februar 1838 folgte die Entlobung.
Nach dem zweiten Semester setzte Storm 1838 das Studium in Berlin fort. Dank seines Lübecker Freundes Röse lernte er nun auch Studenten kennen, die eher seinen Vorstellungen entsprachen. Mit seinen Freunden gründete Storm eine Theatergruppe, ging ins Schauspielhaus und in die Oper. Das Studium konnte ihn allerdings auch in Berlin nicht begeistern. Als seine Freunde nach und nach Berlin verließen und seine Einsamkeitsgefühle sich verstärkten, kehrte er im Herbst 1839 nach Kiel zurück.
In Kiel fand Storm bald einen Freundeskreis, der sein geistiges Bedürfnis nach lebendigem Gedankenaustausch befriedigte. Zu dieser Gruppe, die sich vor allem mit Poesie beschäftigte, gehörten auch die Brüder Theodor und Tycho Mommsen. Storm entdeckte hier Eduard Mörikes Gedichte, die ihn tief beeindruckten. Ihre eigenen Gedichte sammelten er und die Brüder Mommsen im »Liederbuch dreier Freunde«, das 1843 erschien. Storms
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