Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus
»Obervormund, Polizeimeister, Kriminal- und Zivilrichter« für den Amtsbereich der Stadt Husum, das heißt für den Landkreis und die Inseln, die Stadt selbst ausgenommen. Seine Einnahmen erlaubten es seiner um weitere zwei Töchter vergrößerten Familie nun, ohne Geldnot zu leben. Im Mai zog die Familie in das alte Predigerwitwenhaus ein. Sein neues Amt ließ ihm genug Zeit für Musik und Poesie. Storm gründete seinen Gesangverein neu und schrieb an seinen Werken weiter.
EDUARD MÖRIKE
(* 1804, † 1875)
Storm wechselte schon seit 1850 Briefe mit dem Dichter Eduard Mörike. Dieser studierte Theologie, versuchte sich in verschiedenen Pfarrvikarsstellen und scheiterte als freier Schriftsteller in Stuttgart. Von 1834 bis 1843 war er Pfarrer in Cleversulzbach. In seiner Idylle »Der alte Turmhahn« beschrieb er diese Zeit, die er als seine glücklichste erlebte. Wegen Krankheit ließ Mörike sich 1843 in den vorzeitigen Ruhestand versetzen und zog nach Stuttgart, wo er bis 1866 als Lehrer für Literatur am Katharinenstift tätig war. Literarisch stand Mörike wie Storm zwischen Romantik und Realismus, fühlte sich aber auch der deutschen Klassik, besonders Goethe, verpflichtet. Seine Lieder wurden häufig vertont und er war ein hervorragender Übersetzer antiker Poesie. Mörike führte den Humor in die realistisch-novellistische Dichtung ein und überwand mit seinem »Maler Nolten« den romantischen Künstlerroman.
Im Mai 1865 starb Storms Frau Constanze nach der Geburt ihres siebten Kindes am Kindbettfieber. Seinen tiefen Schmerz über den Verlust verarbeitete er in dem Gedichtzyklus »Tiefe Schatten«. Eine Haushälterin ermöglichte es ihm, im September Iwan Turgenjew in Baden-Baden und seine Freunde in Berlin zu besuchen. Storm kümmerte sich aber durchaus auch selbst um seine Kinder.
Nachdem Storm seiner früheren Geliebten Dorothea Jensen wieder begegnet und die Liebe wieder erwacht war, heirateten die beiden im Juni 1866. Im Oktober 1866 zog die Familie in das größere alte Kaufmannshaus, das heute ein Museum ist. Das Eheglück wurde jedoch getrübt aufgrund der großen Anforderungen, die der Haushalt mit sieben Kindern für eine Stiefmutter mit sich brachte. Die Lage entspannte sich erst, nachdem Dorothea 1868 eine Tochter geboren hatte.
Indessen beunruhigten Storm die politischen Verhältnisse: Der Deutsch-Dänische Krieg von 1864 endete zwar bald mit der Niederlage der Dänen, doch blieben die Herzogtümer Schleswig und Holstein trotzdem unter Fremdherrschaft; nach dem Vertrag von Gastein geriet Schleswig 1865 unter die Verwaltungshoheit von Preußen, die nach dem Deutschen Krieg von 1866 endgültig besiegelt wurde. Eine Folge davon war, dass das Amt des Landvogts abgeschafft wurde. Storm wurde Amtsrichter und bekam weniger Gehalt. Schlimmer, als wieder sparen zu müssen, war für Storm aber, unter der Herrschaft Preußens leben zu müssen.
›Als Lyriker ist er … unter den drei vier Besten, die nach Goethe kommen.‹
Theodor Fontane über Eduard Mörike
Dies lähmte auch seine literarische Produktion. 1867 verfasste er nur zwei Novellen, 1868 veröffentlichte er eine Gesamtausgabe, gedacht als poetisches »Testament«. 1870 brachte er die Gedichtsammlung »Hausbuch aus deutschen Dichtern seit Matthias Claudius« heraus, in deren Vorwort er seine Vorstellung von Lyrik als »unmittelbarem Ausdruck der Empfindung« darlegte. Auch die Prosastücke »Zerstreute Kapitel« sind noch von Storms politischer und poetischer Resignation gekennzeichnet. Doch die Novelle »Draußen im Heidedorf« brachte 1872 eine Wende: Mit der Hinwendung zu epischer Objektivität und damit der Annäherung an den poetischen Realismus setzte die produktivste Phase in Storms Novellistik ein; bis zu seinem Weggang aus Husum 1880 schrieb Storm noch 15 Novellen, zu deren bekanntesten »Pole Poppenspäler« (1873/74), »Aquis submersus« (1876) und »Carsten curator« (1878) gehören. Die Novellistik drängte indessen seine Lyrik in den Hintergrund. In ihr behandelte Storm bevorzugt die Vergänglichkeits- und Todesproblematik. Dass ein elegischer Ton viele der Gedichte beherrscht, verwundert daher nicht, zumal Storm nicht an ein Weiterleben nach dem Tod glaubte.
Sein Amt im preußischen Justizdienst übte Storm zwar nie mit Begeisterung aus, aber er erfüllte doch seine Pflicht. Allerdings wurde es ihm immer mehr zur Last. Schon nach dem Tod seines Vaters 1874 hatte Storm angefangen, über seinen Lebensabend nachzudenken; 1878
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