Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus
Charlotte schon ihr zweites Buch, den autobiografisch gefärbten Roman »Jane Eyre« fertig. Am 24. August 1847 schickte sie ihn an Smith & Elder, wo man so angetan war, dass das Buch sechs Wochen später herausgebracht wurde. Zu Weihnachten hielten auch die jüngeren Schwestern ihren ersten Roman gedruckt in den Händen.
Für Charlotte war es bereits der Durchbruch zum Ruhm, während die beiden anderen sich mit gemischten Kritiken zufrieden geben mussten. Auch Anne hatte schon ihr zweites Buch, »Wildfell Hall«, fertig. Doch statt des erhofften Ruhms erwartete die beiden jüngeren Schwestern der Tod. Im September 1848 starb ihr labiler Bruder Branwell, im Oktober holte sich die bis dahin ungewöhnlich robuste Emily eine schwere Erkältung, die in Schwindsucht überging und am 19. Dezember zu ihrem Tod führte. Zur gleichen Zeit stand es auch um Anne nicht gut. Ein letzter Versuch, ihren ernsten Zustand durch einen Aufenthalt an der See zu verbessern, war vergeblich, und am 28. Mai 1849 wurde auch sie von der Tuberkulose hinweggerafft. Damit war das Lebenswerk zweier viel versprechender Schriftstellerinnen im Alter von dreißig Jahren jäh abgeschlossen.
Anne hatte den großen Erfolg ihres zweiten Buches nur ahnen können, während Emily sich wohl kaum hätte träumen lassen, dass sie einmal als die genialste der drei Schwestern in die Literaturgeschichte eingehen würde. »Sturmhöhe« ist ein Buch von bezwingender Kraft. Wenn man bedenkt, dass die Autorin allem Anschein nach nie verliebt war und an Männern auch gar nicht interessiert schien, ist kaum zu begreifen, wie sie einen so tiefen Blick in die Leidenschaften der menschlichen Seele tun konnte. Neben diesem Buch nehmen sich die beiden Romane der jüngsten Schwester eher harmlos aus. Man sah sie lange in der Tradition des psychologischen Realismus mit moralischer Tendenz, erst in neuerer Zeit wird zunehmend erkannt, dass die Heldin von »Wildfell Hall« eine in mancher Hinsicht modernere Frauengestalt ist als Jane Eyre und die Catherine aus »Sturmhöhe«, die beide noch stark der Romantik verpflichtet sind.
CHARLOTTES KURZES GLÜCK
Als Anne zu Grabe getragen war, wurde Charlotte nicht etwa die emanzipierte, zu literarischem Ruhm aufsteigende Dichterin, sondern fügte sich in die Rolle der einzigen Tochter, die für ihren Vater zu sorgen hatte. Mit der neuen Last auf den Schultern, die sie mit niemandem teilen konnte, und geschwächt durch die Trauer um die Geschwister sowie eigene Krankheit brachte sie »Shirley«, ihren nächsten Roman, heraus.
Das Buch, eine sozialrealistische Darstellung des Aufstandes der Tuchweber in Yorkshire, hatte nicht die starke Wirkung, die »Jane Eyre« auf die Leser ausübte. Dennoch wurde es ein Erfolg. Charlottes Ruhm war schon so fest begründet, dass die etablierten Literaten ihrer Zeit sich bemühten, sie in ihre Zirkel zu ziehen. Charlotte genoss es, endlich anerkannt und als literarische Berühmtheit herumgereicht zu werden.
Im November 1851 begann sie ihr neues Buch »Villette«, das im Januar 1853 erschien. Darin griff sie wie in ihrem ersten und bis dahin unveröffentlichten Roman »The Professor« auf ihre Erfahrungen in Brüssel zurück. In dem Erstling hatte sie das Autobiografische noch durch die männliche Identität des Helden verschleiert. Jetzt kehrte sie zu der in »Jane Eyre« so erfolgreichen Form der Icherzählung zurück und schuf in Lucy Snowe eine Frauengestalt, die in vielem ein ungeschöntes Selbstporträt ist. Lucy ist ein armes, unscheinbares, von puritanischen Vorurteilen gehemmtes englisches Mädchen, das sich nach Villette begibt, um dort auf einer Schule ihre Bildung zu vervollständigen. Villette ist offenbar die Entsprechung zu dem Brüssel, das Charlotte kennen gelernt hatte, und vieles, was Lucy erlebt, deckt sich mit der Biografie der Autorin bis hin zu der Beichte, die die Protestantin vor einem katholischen Priester ablegt. Lucy ist wie ihre Schöpferin eine im tiefsten Wesen humorlose, aber durch und durch redliche, um Pflichterfüllung bemühte Frau.
HAUPTWERKE
• Gemeinsam
1846 Gedichte, von Currer, Ellis und Acton Bell
• Anne, Pseudonym Acton Bell
1847 Agnes Grey
1848 Wildfell Hall
• Charlotte, Pseudonym Currer Bell
1847 Jane Eyre
1849 Shirley
1853 Villette
• Emily, Pseudonym Ellis Bell
1847 Sturmhöhe
Charlotte musste sich, als sie das Buch schrieb, entscheiden, ob sie doch noch heiraten oder sich mit dem Los einer Schriftstellerin abfinden sollte, von der
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