Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus
unpolitischen Gründerzeitbürgertum wurden, von der »Despotie des Zeitgemäßen in der Wahl des Stoffes«.
»MARTIN SALANDER«
»Martin Salander«, erschienen 1886, bildet Kellers literarisches Vermächtnis. Es handelt sich um einen zeitkritischen Roman, der sein politisches Bekenntnis zu einer demokratischen Ordnung, getragen von politisch und ethisch mündigen Bürgern, formuliert und gleichzeitig Kellers sozialpädagogisches Anliegen als Dichter vorbringt: Der um sich greifende Kapitalismus, den der Zeitgeist geboren hat, verschärft die Klassengegensätze, verdirbt gesellschaftsübergreifend Ethos und Moral, zerstört die demokratische Kultur und opfert das Gemeinwohl einigen Einzelkarrieren. Dabei fällt – wohl aus didaktischen Gründen – die Schilderung der stets tugendhaft gebliebenen Familie Salander, die mehrmals durch Betrug um ihr Vermögen gebracht wird, ebenso unrealistisch aus wie die ihrer zu Karikaturen des Zeitgeistes entstellten Gegenspieler. Kellers Schilderung des zeitgenössischen Ist-Zustands ist resignativ, skeptisch und lässt eine böse Zukunft erahnen. Den geplanten Fortsetzungsroman »Arnold Salander« konnte Keller nicht mehr schreiben.
KELLERS HAUPTWERKE
1846
Gedichte
1854
Der Grüne Heinrich; zweite, veränderte Fassung 1879
1856
Die Leute von Seldwyla; Novellen, erweitert 1874
1872
Die sieben Legenden
1878
Züricher Novellen
1882
Das Sinngedicht; Novellen
1886
Martin Salander; Roman
THEODOR FONTANE
WEGBEREITER DER LITERARISCHEN MODERNE
Fontane war nach dem Urteil Heinrich Manns nichts weniger als der Begründer und Vollender des modernen deutschen Romans. Die moderne Forschung, die Fontanes umfangreiches, außer den Romanen auch Gedichte, Essays, Rezensionen, Reisefeuilletons, historische Sachliteratur und Briefe umfassendes Werk untersucht, hat dieses positive Urteil bestätigt.
30. 12. 1819
Geburt in Neuruppin
1836–1840
Apothekerlehrling in Berlin
1852
Korrespondent in London
1860–1870
Redakteur bei der »Kreuzzeitung« in Berlin
1870–1889
Redakteur bei der »Vossischen Zeitung«
20. 9. 1898
Tod in Berlin
Am 30. Dezember 1819 im brandenburgischen Neuruppin als ältestes Kind des Apothekers Louis Henri Fontane und Emilie Fontane (geb. Labry) geboren, war Henri Théodore Fontane ein »in der Wolle gefärbter Preuße«. Über die hugenottischen Vorfahren beider Eltern stand er aber noch in einer anderen zweiten kulturellen Tradition: der »französischen Kolonie« in Berlin, der Mitglieder beider Familien schon früh als erfolgreiche Handwerker, Kunsthandwerker und Kaufleute angehört hatten und die durch das Potsdamer Edikt Kurfürst Friedrich Wilhelms von Brandenburg im Jahr 1685 entstanden war. Einen ersten Einschnitt im Leben Fontanes markieren die Jahre 1826 und 1827, als er eingeschult wurde und der verschuldete Vater seine Apotheke verkaufte, was einen Wohnungswechsel und den Verlust der familiären Existenzgrundlage bedeutete. Das Traumatische dieser Veränderung spricht noch aus den wenigen negativen und angstbesetzten Erinnerungsbildern des alten Fontane an diese Zeit. Sie endete Mitte 1827 mit der geschäftlichen Neuetablierung des Vaters und dem Umzug der mittlerweile sechsköpfigen Familie vom brandenburg-preußischen Neuruppin in die pommersche Seestadt Swinemünde. Fontane wertete rückblickend die dort verbrachte Lebensphase nicht nur als glückliche, weil wenig durch Regeln eingeschränkte und doch behütete Kindheit, sondern auch als wichtiges Bildungserlebnis im Sinne einer ersten bewussten kulturellen Fremderfahrung: »befremdlich« und faszinierend anders, fantasieanregend und den kritischen Blick schulend für den bisherigen Lebenskreis. Die negative Kehrseite des Lebens- und Erziehungsstils im Elternhaus Fontanes waren mangelhafte Schulbildung und ein zurückgebliebener Wissenserwerb. Sie machten Fontane zum Autodidakten. Als er zwölfjährig Swinemünde und den Familienverband verlassen musste, um in Neuruppin das Gymnasium zu besuchen, verfügte er nur über ein bruchstückhaftes, unsystematisches Wissen. Eineinhalb Jahre Gymnasialunterricht und der anschließende Wechsel des Schultyps, der Fontane im Herbst 1833 nach Berlin auf die Friedrichswerdersche Gewerbeschule brachte, behoben die großen Defizite in seiner Ausbildung nicht. Stattdessen erfuhr der junge Fontane – ein bis dahin sehr selbstbewusstes Kind, wie aus der Kindheitsautobiografie zu entnehmen ist – in der Konfrontation mit der strengen preußischen
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