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Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus

Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus

Titel: Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brockhaus
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probieren. Dabei hatte der bisherige Beruf ihm nicht nur genügend Freiraum zum literarischen Selbststudium, dem Herstellen literarischer Kontakte und dem Schreiben gelassen. Er verschaffte ihm auch Kenntnisse und Erfahrungen im politisch-sozialen Milieu der Berliner Vormärz-Zeit, die für das Verständnis des sozialkritischen Potenzials seiner Romane grundlegend sind: Dazu zählen zum Beispiel in Berlin die Begegnung mit dem später karikierten Typ des Bourgeois oder hautnahe menschliche Kontakte mit der »sozialen Frage« ebenso wie die Erfahrungen Leipzig und Dresden. Diese alten Kulturzentren schärften Fontanes Blick für das Besondere der brandenburg-preußischen Realität und sie öffneten seinen Blick für die Probleme einer deutschen kulturellen und nationalen Identität. Im Berlin der 1830er-Jahre lebte Fontane in einem politisch-sozialen Umfeld des Stillstands, der von der repressiven und autoritären, die Emanzipationswünsche des Bürgertums provozierenden Restaurationspolitik Friedrich Wilhelms III. geprägt war. Als nach dem Regierungswechsel 1840 Friedrich Wilhelm IV. selbst noch unter dem Druck der schweren Wirtschafts- und Agrarkrise die geforderte Demokratisierung verweigerte, brachen unter dem Eindruck der französischen Februarrevolution im März auch in Berlin die Kampfhandlungen aus. Fontane war, obwohl er seine Beteiligung rückblickend als gering einstufte, in das revolutionäre Geschehen als Berichterstatter, Barrikadenkämpfer und Wahlmann unmittelbar einbezogen. Und auch die Entscheidung für die Revolution, die von Fontanes radikalliberaler politischer Überzeugung getragen wurde, war das Ergebnis einer längeren biografischen Entwicklung, genauer, seiner literarischen Sozialisation im »Jungen Deutschland« und im »Vormärz«. Nimmt man als Auswahlkriterium die Veröffentlichung, gehen seine schriftstellerischen Anfänge nämlich zurück bis ins Jahr 1839, als im »Berliner Figaro« seine Novelle »Geschwisterliebe« erschien.
    IN LITERARISCHEN KREISEN
    Desgleichen veröffentlichte er erste Balladen und Gedichte im spätromantischen Stil. Wenn der alte Fontane ihnen rückblickend auch keinen literarischen Wert zuschrieb – »in fast jedem meiner damaligen Gedichte schien der Mond unentwegt« –, wusste er doch um ihre Schlüsselfunktion bei seiner literarischen Karriere: Seine romantische Lyrik (»Gedichte«, 1851) öffnete ihm in Berlin den Lenau-Verein und den Platen-Klub; seine gleichzeitige Produktion politischer Lyrik à la Heine, Herwegh und Freiligrath verschaffte ihm Zutritt zum Leipziger Herwegh-Klub. Fontane schuf sich dadurch nicht nur wichtige Foren literarischer und intellektueller Diskussion, sondern er legte hier bereits die Grundlage für ein lebenslänglich, auch brieflich gepflegtes Netz sozialer Kontakte. Als Mitglied des »Tunnels über der Spree«, in den Fontane, nachdem er aus Leipzig zurückgekehrt war, 1844 auf Vermittlung seines Freundes Bernhard von Lepel kam, lernte er als literarisch dilettierende Klubkameraden nicht nur spätere Reichsminister, hochrangige Offiziere und Beamte, Wissenschaftler, Redakteure – etwa vom satirischen »Kladderadatsch« – und den Maler Adolf Menzel kennen, sondern auch erfolgreiche Schriftsteller: Felix Dahn, Emanuel Geibel, Paul Heyse. Der Dialog mit ihnen sowie die von da an beginnende Rezeption antiker, russischer und englischer Autoren wie Livius, Horaz, Gogol, Lermontov, Shakespeare, Scott, Percy und John Prince erweiterten seinen bisherigen engen romantischen und jungdeutschen literarischen Horizont. Die allmähliche Ersetzung alter Vorbilder – besonders Gutzkows – war Teil eines ästhetisch und politisch einschneidenden Orientierungswechsels, den er als Mitglied des »Tunnels« und seiner Ableger »Rütli« und »Ellora« vollziehen musste. Im »Tunnel«, wo der Dialog zwischen den sozial und ideologisch sehr heterogenen Mitgliedern durch ein kompliziertes Regelwerk gesichert wurde, stieß nämlich Fontanes radikaldemokratische Lyrik (»Gedichte«) auf massive Ablehnung. Während seiner langjährigen aktiven Mitgliedschaft verzichtete er zwar nicht ganz auf gelegentliche protokollarisch dokumentierte Provokationen im Vormärz-Ton, doch mit seinen rasch populär gewordenen »Balladen« (1861) tendierte er eher zu einer Schreibweise, deren formale Perfektion und ideologisch neutrale oder konservative Themen aus der preußischen und schottisch-englischen Geschichte ihm souveräne Erfolge in der Gruppe einbrachten.

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