Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus
Sie bewirkten aber auch einen zunehmenden Widerspruch zu seiner liberaldemokratischen Grundüberzeugung, wie er sie bei den 1848er-Ereignissen brieflich und publizistisch noch nachdrücklich vertrat, wie mit seinem Artikel »Preußens Zukunft« in der »Berliner Zeitungshalle«. Komplizierte der »Tunnel« so eher seinen Weg in eine klare politische und literarische Identität, sah Fontane ihn für seine persönliche Entwicklung, für den Gewinn an Selbstbewusstsein und sozialer Kompetenz, positiv. Und letztlich waren es »Tunnel«-Freunde, deren Kontakte ihm während des Berufswechsels in der Zeit von 1849 bis 1851 halfen.
DER VORMÄRZ
»Vormärz« bezeichnet die Periode der deutschen Geschichte zwischen 1830 und 1848 sowie die nationalen und liberalen Kräfte, die schließlich die Revolution von 1848 herbeiführten. Übertragen wird der Begriff auf die Literatur dieser Zeit angewendet (»Junges Deutschland«). Der Vormärz ist gekennzeichnet durch äußeren Frieden und gewaltsam erzwungene innere Ruhe, durch Zersplitterung Deutschlands in zeitweise 39 Einzelstaaten, durch eine reaktionäre Knebelung aller nationalen und liberalen Bewegungen im »metternichschen System«, durch zögernd einsetzende Industrialisierung und ein wachsendes Massenelend. Die Forderungen des Vormärz nach Schwurgerichten, Pressefreiheit, Bauernbefreiung und Reform frühkonstitutioneller Verfassungen blieben weitgehend unerfüllt. Das aus Revolutionsfurcht und Reformunfähigkeit resultierende Abbremsen des Prozesses einer politischen Emanzipation des Bildungs- und Besitzbürgertums führte in die Märzrevolution von 1848. In Preußen, wo nach Straßen- und Barrikadenkämpfen am 29. 3. 1848 von König Friedrich Wilhelm IV. ein liberales Kabinett unter Ludolf von Camphausen berufen worden war, hatte sich am 22. 5. noch eine verfassunggebende Versammlung konstituiert und eine Verfassung beraten. Doch bereits im Frühsommer vereinigte das später so genannte »Junkerparlament« die schärfsten Gegner der Märzrevolution und besiegte sie ab 9. 11. schließlich mithilfe der preußischen Armee.
JOURNALIST, DICHTER UND ROMANAUTOR
Seinen Start in die neue berufliche Identität betrieb Fontane zunächst zweigleisig, als Dichter und als Journalist. Er veröffentlichte mit politisch merklicher Selbstzensur seine bisherigen Arbeiten in drei Büchern – 1850 erschien der Romanzenzyklus »Von der schönen Rosamunde«, 1851 erschienen »Männer und Helden« und die »Gedichte« – und war als Berliner Korrespondent für die antipreußische, radikaldemokratische »Dresdner Zeitung« tätig. Fünf Monate lang analysierte und kommentierte Fontane aus deren Blickwinkel das Scheitern der Revolution und den Sieg der preußischen Reaktion, um im Sommer 1850, nach der Einsicht in die Unabänderlichkeit der historischen Ereignisse und unter massivem ökonomischem Druck, bei eben diesem preußischen Staat in Dienst zu gehen.
»TUNNEL ÜBER DER SPREE«
Der Literarische Sonntagsverein »Tunnel über der Spree«, dem Theodor Fontane seit 1844 angehörte, wurde am 9. 12. 1827 auf Initiative des Journalisten Moritz Gottlieb Saphir (* 1795, † 1858) hin gegründet.
Zweck des Vereins waren der Vortrag, die Diskussion und die Kritik der künstlerischen Arbeit seiner Mitglieder. Vorgelegt wurden in erster Linie literarische Werke, daneben wurden aber auch Werke aus der Musik und der bildenden Kunst diskutiert und beurteilt. Die Mitglieder des »Tunnels« waren also weniger Literaten, sondern vielmehr Liebhaber der Literatur und der bildenden Kunst.
Mit Unterbrechungen arbeitete er von nun an für die Regierungspresse (»Adler-Zeitung«) sowie für die »Centralstelle für Presseangelegenheiten«, die dem berüchtigten Innenminister Manteuffel direkt unterstellt war und als Kontrollorgan für die »freie« Presse fungierte. Die Krise war perfekt. Vor dem Hintergrund familiärer Verantwortung und Sorgen reagierte Fontane auf die Zumutungen dieser ideologisch widersprüchlichen und finanziell nach wie vor brisanten Lage zunehmend mit Depressionen und Erkrankungen. In dieser Situation wurde er 1852 für ein halbes Jahr als Korrespondent nach London geschickt. Im Nachhinein und im Zusammenhang mit einem weiteren mehrjährigen Englandaufenthalt von 1855 bis 1859 war dies der entscheidende Moment für die persönliche und berufliche Stabilisierung, auch im Sinne einer politischen und ästhetischen Neukonzeption: Die kulturkritischen Reisefeuilletons etwa, die Fontane
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