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Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus

Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus

Titel: Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brockhaus
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Schuldisziplin nun auch persönliche Frustrationen. Sie aktivierten schon früh seine kritische Wahrnehmung autoritärer Strukturen und Systeme. In Berlin gestaltete sich das geregelte Lernen »bis zum Lachen traurig«: Untergebracht im Haushalt des unkonventionellen Onkels August Fontane, den Theodor als groteske Wiederholung der zwischen Zu- und Abneigung schwankenden Vaterfigur erlebte, war er unmittelbar einbezogen in das Durcheinander, das dem geschäftlichen Ruin des gescheiterten Malers, einstigen Schauspielers und Kaufmanns vorausging. Die letzten Monate vor Ende seiner Schulzeit, Ostern 1836, erlebte Fontane auf frühen »Wanderungen« in Berliner Caféhäusern und mit der Lektüre beliebter Journale wie dem »Berliner Figaro«.
    DIE JAHRE ALS APOTHEKER
    In der Tradition des väterlichen Berufs und mit der Aussicht auf das väterliche Geschäft begann Fontane in Berlin mit einer Apothekerlehre. Als Lehrling, Gehilfe und 1847 amtlich zugelassener Apotheker stand er die folgenden zwölf Jahre in verschiedenen Anstellungsverhältnissen bei verschiedenen Unternehmen. Über Stationen in Burg bei Magdeburg, Leipzig, Dresden und Letschin, wo mittlerweile der Vater seine Apotheke hatte, kehrte Fontane 1843/44 nach Berlin zurück, um dort, nach einjähriger Unterbrechung im Militärdienst beim Gardegrenadierregiment »Kaiser Franz« und nach Ablegung des Apothekerexamens, seinen Beruf wieder aufzunehmen. Nach Ablauf einer Stelle als pharmakologischer Ausbilder im Diakonissenkrankenhaus »Bethanien« und vergeblichen Versuchen, die nötigen finanziellen Mittel für ein eigenes Unternehmen zu beschaffen, wagte Fontane, der seit 1844 als Mitglied dem literarischen Kreis »Tunnel über der Spree« angehörte, den entscheidenden Schritt: Er entschloss sich zu einer Existenz als freier Journalist und Schriftsteller und vollzog damit zumindest teilweise einen Wechsel in seiner sozialen Identität mit dem vollen Risiko mangelnder finanzieller Sicherheit und der Gefahr des sozialen Abstiegs. Riskant war die Entscheidung auch wegen eines seit 1845 bestehenden Verlöbnisses mit Emilie Rouanet-Kummer. Die 1850 geschlossene Ehe, aus der vier Kinder hervorgingen, litt unter dem wiederholt ausbrechenden Konflikt bürgerlicher Lebens- und Familienideale und realer, finanziell bedingter Existenzkrisen und -ängste, die das Paar als wiederkehrende »Nervenkrisen« und Krankheitsphasen erlebte. Mit Emilie, die ihn wegen ihres Vornamens, ihrer hugenottischen Abstammung und auch in Charakter und Verhalten sehr an die Mutter erinnerte, »wählte« Fontane das elterliche Beziehungsmuster.
    FONTANES HUGENOTTISCHE VORFAHREN
    Das Potsdamer Edikt vom 8. 11. 1685 erlaubte den unter Ludwig XIV. diskriminierten und verfolgten Hugenotten die Ansiedlung im bevölkerungsarmen Preußen. Fontane sah die Aufnahme dieser durch hohen kulturellen und technologischen Standard ausgewiesenen sozialen Gruppe und die so entstandene Multikulturalität als einen zentralen Vorgang für die politische und soziale Herausbildung des preußischen Staates. Diese durchaus kulturkritisch gemeinte These Fontanes von der multikulturellen Struktur Preußens findet ihre Parallele in seinem Selbstverständnis.
    In seinen beiden Autobiografien »Meine Kinderjahre« (1894) und »Von Zwanzig bis Dreißig« (1898) sah er sich selbst am Ende einer langen, in ihrer deutsch-französischen Doppelidentität erfolgreichen Generationskette. Selbst in der französischen Linie betonte er die kulturellen und mentalen Differenzen: der Vater, ein »typischer« Gascogner, fantasiebetont, humorvoll, sprachtalentierter Geschichtenerzähler, aber seelisch labil. Die Mutter, »ein Kind der Cevennen«, leidenschaftlich und energisch, dabei stärker »preußisch« assimiliert: realitäts- und statusorientiert, sozial ambitioniert und pflichtbewusst. Auf die ökonomisch und psychisch konfliktreiche Familiensituation, die 1847 zur Trennung vom Ehemann führte, reagierte sie zunehmend mit »Nervenzuständen«. Die Erfahrung der elterlichen Beziehung begründete bei Fontane ein biografisch und literarisch wichtiges Motiv- und Deutungsmuster.
    ANFÄNGE ALS SCHRIFTSTELLER UND POLITISCHE AMBITIONEN
    Der markante Einschnitt in Fontanes Leben betraf nun aber gerade einen entscheidenden Aspekt in seiner bisheriger Identität nicht: die Schriftstellerei. Im Jahr 1849 war die bisherige literarische Produktion Fontanes umfangreich genug, um es mit der Verwandlung der »Berufung« in Berufstätigkeit zu

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