Worte der weißen Königin
zurückgekommen sind. Gerade beim Spielen im Wald … es hieß doch, er hätte im Wald gespielt.«
Nicht mehr vom Spielen im Wald zurückgekommen?, dachte ich. Vom Spielen ? Der schwarze König war schlau.
»Der ist abgehauen«, sagte der eine Mann. »Vergiss das Spielen im Wald. Du hast die Geschichte doch gehört.«
Dieser Mann war auch schlau. Seine Klugheit schloss sich um mein Herz wie eine eiserne Faust aus Furcht. Wer war er? Warum arbeitete er für den schwarzen König, der doch keinen Cent hatte, um ihn zu bezahlen?
»Wenn er sich irgendwo hier versteckt? Wenn dies eine Decke ist, die er noch vor Kurzem benutzt hat? Vielleicht ist er ganz nah. Vielleicht sitzt er in einem Gebüsch und lacht über uns.«
Nein, dachte ich, er sitzt nackt in einem Adlerhorst, ein Bündel dreckiger Kleider an sich gepresst, und hat Angst.
»Wir finden ihn, mach dir keine Sorgen«, sagte der kluge Mann und nahm seine Stimme und das Japsen der Hunde mit fort. »Wir bringen ihn zurück …«
Ich wagte erst, über den Rand des Horsts zu sehen, als dieStimmen schon weit fort waren. Ich sah die Männer gerade noch zwischen den hohen Stämmen des Waldes verschwinden. Sie trugen Polizeiuniformen. Oh, wie schlau er war, der schwarze König! Er brauchte diesen Männern keinen einzigen Cent dafür zu bezahlen, dass sie mich suchten. Es war ihre Aufgabe, verloren gegangene Kinder dorthin zurückzubringen, wo sie hingehörten. Zu ihren Eltern, die sich sorgten und auf sie warteten.
Doch auf mich warteten ein Kellerraum und ein Schlüssel, da war ich mir sicher, und diesmal würde auf dem Fensterschacht eine Steinplatte liegen, oder etwas anderes, und es wäre unmöglich zu fliehen. Ich dachte: Wenn ich immer und immer in diesem Adlerhorst bleibe, finden sie mich nicht. Aber dann, dachte ich weiter, kann ich auch nie die weiße Königin erreichen.
Und so zog ich schließlich meine Kleider über und kletterte die Esche hinunter. Im Wald waren keine menschlichen Stimmen und keine Hunde mehr zu hören. Aber sie würden wiederkommen, da war ich mir sicher. Spätestens wenn der Junge vom Haus auf den Klippen ihnen erzählte, dass er mich gesehen hatte. Noch hatte er es ihnen nicht erzählt, dachte ich, und ich dachte es mit einem gewissen Erstaunen. Sonst hätten sie gewusst, dass ich lebe.
Ich fand den Rucksack in seinem Versteck und suchte den Himmel nach meinem Adler ab. Doch der Himmel war leer.
»Sie sind am Wasser«, sagte Olin hinter mir. »Dein Adler lehrt seine Jungen das Fischen. Er weiß nichts von Hunden und Polizisten.«
Ich drehte mich um. Olin sah noch ein wenig zerzauster aus als sonst, so als wäre sie am Tag zuvor durch Wasser voll aufgewirbelter Algen getaucht. »Warst du da?«, fragte ich. »Gestern? Unter Wasser? Hast du mir gezeigt, dass ich tauchen muss?«
»Wo?«, fragte Olin und schüttelte bereits den Kopf. »Ich war nirgendwo. Du stellst dir nur wieder Dinge vor.«
»So«, sagte ich, »dann danke ich der Vorstellung, dass sie mir geholfen hat. Wo warst du, als die Männer den Wald durchsucht haben?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Hier und dort. Nirgendwo und überall.«
»Gehört das zu den Dingen, die man im Wald lernt?«, fragte ich. »Nirgendwo und überall zu sein? Das werde ich wohl nie lernen. Aber jetzt gehe ich trotzdem, Olin, auch ohne es gelernt zu haben.«
»Nach Berlin«, sagte Olin leise.
Ich nickte. »Nach Berlin. Aarak fliegt. Und die Polizisten suchen mich. Wie sagt man das in den Büchern? Leb … leb wohl, Olin.«
Als ich daran dachte, dass ich auch meine Freunde, die Seeadler, verlassen musste, wurde mir schwer ums Herz. »Denkst du, die Adler werden sich an mich …«, begann ich und sah auf. Doch Olin war nicht mehr da.
Ich schulterte den Rucksack und ging zum Deich.
Und während ich ging, sah ich mich im Wald um, als wäre es das erste Mal. Ich wollte ihn nicht vergessen, ich wollte ihn mitnehmen auf meine Wanderung, jede Blume, jeden Baum.
Ein letztes Mal stieg ich auf den Hochsitz in der Eiche und sah meinen Adler über dem Wasser fliegen. Auch Aarak schwebte dort, und mit ihnen die drei jungen Adler. Ab und zu stieß einer von ihnen auf der Jagd nach einem Fisch hinab in die Wellen, die wieder winzig, blau und friedlich waren.
»Rikikikriiii!«, rief ich, und da kam mein Adler aus dem Himmel geschossen.
»Kriii!«, antwortete er, landete auf der Brüstung des Hochsitzes und rieb seinen gefiederten Hals an meiner Wange. Nein, er wusste nichts von Polizisten und
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