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Worte der weißen Königin

Worte der weißen Königin

Titel: Worte der weißen Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Michaelis
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Lungen lasse, und erst dann, wenn ich wehrlos in seinen Wellenarmen liege, dann wird er mich herausziehen. Kurz bevor es vorbei mit mir ist. Er wird mich nicht töten, denn wenn er mich tötet, kann er mich nicht mehr quälen.
    Ich hustete und spuckte Wasser, sah das Ufer, ferner und ferner, und hörte den Sturm, aber in meinem Kopf war es das wütende Geheul des schwarzen Königs. Der Himmel war grau und zerrissen, die Adler waren verschwunden. Auch für sie war der Sturm jetzt zu stark.
    »Rikikikri!«, rief ich. »Wo bist du? Ri…!« Ich schluckte noch mehr Wasser, ging wieder unter … Als ich diesmal hochkam, streifte etwas meine Haare. Und da war er, mein Adler, direkt über mir, er war in den Sturm hinausgeflogen, um mir zu helfen. Ich sah seine riesigen weiten Schwingen dicht über die Schaumkronen der Wogen jagen, und er hatte ein Ziel.
    Ein Stellnetz. Da war ein Stellnetz.
    Eines jener Netze, die an hölzernen Stelzen befestigt sind und sich weit ins Wasser hinausziehen wie ein zu langes Tennisnetz. Es würde mir nicht gelingen, zum Ufer zu schwimmen, aber vielleicht würde ich es schaffen, das Netz zu erreichen.
    Rikikikri flog noch einmal zurück zu mir. Ich wollte ihm sagen, dass ich begriffen hatte, aber ich hatte damit zu tun, zu schwimmen. Ich kämpfte gegen die Arme des schwarzen Königs und schaffte es, ein wenig voranzukommen, nur ein wenig – und noch ein wenig –, eine Welle drückte mich gegen das Netz. Ich klammerte mich daran fest, hangelte mich bis zu einem der Pfähle und zog mich hinauf. Dann sah ich, dass da ein zweites Stellnetz war, vielleicht zwanzig Meter hinter dem ersten.
    Und ich sah meinen Adler. Er hatte es geschafft, im Sturm eine Schleife zu drehen; er kam jetzt von der anderen Seite auf mich zu. Gerade, als er über das andere Netz fliegen wollte, spuckte der Sturm eine Bö aus, die stärker war als alle übrigen.
    Sie griff mit ihren windigen Fingern nach ihm und drückte ihn hinunter.
    »Niiicht!«, schrie ich.
    Es war zu spät.
    Rikikikri flog gegen das Netz wie in eine Falle. Seine weiten Schwingen verhedderten sich darin gleich den Flügeln einer Motte in einem riesigen Spinnennetz.
    Zwischen uns waren zwanzig Meter Gischt und Wellen, zwanzig Meter Regen und Sturm, zwanzig Meter Wasserschlucken und Todesangst.
    Und die weiße Königin hatte nur oben auf den Klippen ein Buch herumliegen lassen und war weit, weit weg, in Berlin, und wusste nichts davon, wie dringend ich ihren Rat gebraucht hätte. Ich sah zu, wie mein Adler panisch mit den Flügeln schlug, wie er gegen das Netz kämpfte und sich immer mehr darin verstrickte, wie die Wellen begannen, ihn zu überspülen.
    Ich konnte nichts tun.
    Oder alles.

9. Kapitel
    Überall und nirgendwo
    I ch schloss die Augen.
    Und dann öffnete ich sie wieder und kletterte über das Netz.
    Ich musste es tun. Auch wenn ich nicht glaubte, dass ich es schaffen würde, das zweite Netz zu erreichen. Zwanzig Meter.
    Ich stieß mich ab und ließ das Netz los. Die Wellen hatten mich wieder. Einen Moment dachte ich: Es kann gar nichts passieren, ich befinde mich ja zwischen den beiden Netzen, notfalls werde ich zurückgeschleudert zu dem, von dem ich komme – Sekunden später sah ich ein, dass dieser Gedanke verkehrt war. Die Wellen konnten mich genauso gut irgendwo zwischen den Netzen unter Wasser drücken und nicht mehr hochkommen lassen. Durch den Regen hindurch sah ich Rikikikri und seine Angst, und ich rang mit aller Macht gegen das Wasser. Plötzlich war es, als hätte ich mich nie an einem Holzpfahl festgehalten, als hätte ich nur geträumt, dass ich für ein paar Atemzüge in Sicherheit gewesen war.
    Der schwarze König war wieder da und zog an mir, zog mich hinab. »Aufgegeben, so?«, hörte ich ihn flüstern, doch sein Flüstern klang wie das Gurgeln von Wasser in meinen Ohrenund wie das Brausen des Sturms. »Du dachtest, ich hätte aufgegeben? Ich gebe nie auf, Lion. Ich werde Adler um Adler töten, immer einen nach dem anderen, bis sie mir meinen Jungen zurückgeben.«
    Seine Stimme war nur eine Erinnerung in meinem Kopf, aber sie klang so wirklich, dass ich unter Wasser die Augen öffnete, um zu sehen, ob er dort auf dem Grund des Meeres saß und zu mir sprach.
    Zuerst sah ich nur einen Wirbel aus graugrünen Schlieren und Luftblasen. Zwischen den Luftblasen jedoch schwamm jemand, unter Wasser. Jemand tauchte. Es war nicht der schwarze König. Es war jemand mit bloßen Füßen und einer ausgefransten Jeans, und dann

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