Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede
Allerdings lässt er nicht viel Raum für ein Nachtleben, und auch Freundschaften leiden darunter. Einige Menschen nehmen es mir sogar übel, wenn ich Einladungen oder die Teilnahme an gemeinsamen Unternehmungen immer wieder ausschlage.
Wenn man jedoch nicht mehr sehr jung ist, muss man Prioritäten setzen und herausfinden, wie man sich seine Zeit und Energie am besten einteilt. Hat man bis zu einem gewissen Alter kein solches System gefunden, fehlt der Lebensmittelpunkt, und man ist nie im Gleichgewicht. Für mich hatte nicht der Umgang mit den Menschen meiner Umgebung Priorität, sondern eine Lebensweise, die es mir ermöglichte, meine ungeteilte Aufmerksamkeit dem Schreiben zu widmen. Die für mich lebensnotwendige Beziehung war die zu einer unbestimmten Anzahl von Lesern, nicht die zu bestimmten Personen. Solange meine Lebensumstände stabil waren, konnte ich konzentriert schreiben, und jedes meiner Werke würde eine Verbesserung gegenüber dem vorherigen darstellen, was die Leser zweifellos begrüßen würden. War dies für mich als Schriftsteller nicht die vorrangige Aufgabe? An dieser Einstellung hat sich für mich bis heute nichts geändert. Ich kann die Gesichter meiner Leser nicht sehen; es handelt sich also um eine ideelle Beziehung. Dennoch lebe ich in diesem unsichtbaren »ideellen« Verhältnis; es ist das wichtigste in meinem Leben.
Man kann es eben nicht allen recht machen.
Schon als ich den Club noch hatte, habe ich mich an diese Devise gehalten. Wir hatten viele Gäste. Wenn einer von zehn dachte »guter Laden, gefällt mir, da gehe ich wieder hin«, genügte mir das. Wenn einer von zehn Stammgast wurde, würde das Geschäft ganz gut gehen. Oder andersherum: Wenn neun Leute von zehn nicht wiederkamen, spielte das keine große Rolle. Ein beruhigender Gedanke. Dennoch, einer Person muss es richtig gefallen. Um das sicherzustellen, muss der Inhaber und Geschäftsführer einen Standard setzen, eine Philosophie haben und sie auch gegen Wind und Wetter verteidigen. Das habe ich beim Führen eines Unternehmens gelernt.
Auch nach Wilde Schafsjagd habe ich mit dieser Einstellung weitergeschrieben, und mit jedem Buch erhöhte sich die Zahl meiner Leser. Am glücklichsten machte mich, dass meine Werke viele begeisterte Leser fanden – also immer die besagte eine Person von zehn. Sie (meist waren es junge Leser) warteten geduldig auf mein nächstes Buch, und kaum war es erschienen, besorgten sie es sich und verschlangen es. Nach und nach etablierte sich dieses Muster. Für mich war das ideal – oder zumindest sehr angenehm. Es ist nicht nötig, ein Spitzenläufer zu sein. Ich schrieb, was ich schreiben wollte und wie ich es schreiben wollte, und wenn ich damit meinen Lebensunterhalt bestreiten konnte, fehlte es mir an nichts. Als Naokos Lächeln sich so unerwartet gut verkaufte, änderte sich dieser behagliche Zustand zwangsläufig ein wenig, aber das geschah ja erst später.
Als ich mit dem Laufen anfing, schaffte ich noch keine sehr langen Distanzen. Ich glaube, nach zwanzig oder höchstens dreißig Minuten war ich völlig außer Atem. Mein Herz hämmerte, und meine Beine zitterten. Das war normal, denn ich hatte lange keinen Sport getrieben. Anfangs war es mir auch ein bisschen peinlich, wenn mich die Nachbarn rennen sahen. Es war die gleiche Verlegenheit, die mich überkam, wenn irgendwo hinter meinem Namen in Klammern (Schriftsteller) stand. Doch mit der Zeit schien mein Körper das Laufen positiv aufzunehmen, und ich schaffte längere Strecken. Ich kam in Form, atmete regelmäßig, und mein Puls raste nicht mehr so. Das Wichtigste war nicht die Geschwindigkeit oder die Länge der Strecke, sondern dass ich möglichst nicht pausierte und jeden Tag lief.
So fügte sich das Laufen wie die drei Mahlzeiten, Schlaf, Hausarbeit und die Arbeit in meinen Alltag ein. Es wurde zu einer selbstverständlichen Gewohnheit, und auch das Gefühl, etwas Peinliches zu tun, ließ nach. Ich ging in ein Sportgeschäft und kaufte ein paar geeignete Schuhe und leichte Laufkleidung. Außerdem besorgte ich mir eine Stoppuhr und ein Buch: »Laufen für Anfänger«.
Wenn ich heute zurückblicke, finde ich, dass es mein größtes Glück ist, mit einem robusten Körper geboren zu sein. So konnte ich fast ein Vierteljahrhundert jeden Tag laufen und an zahlreichen Wettkämpfen teilnehmen. Nicht einmal haben meine Beine so sehr geschmerzt, dass ich nicht laufen konnte. Obwohl ich nur wenig Dehnübungen machte, fiel ich nie aus
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