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Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede

Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede

Titel: Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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und habe mich nie verletzt. Ich war nicht ein einziges Mal krank. Ich bin kein hervorragender Läufer, aber ich bin robust. Dies ist eine der wenigen Eigenschaften, auf die ich mir etwas einbilde.
    1983 nahm ich zum ersten Mal an einem Straßenlauf teil. Die Strecke war kurz, nur fünf Kilometer, aber ich erhielt eine Nummer, mischte mich in eine große Gruppe, hörte jemanden »Auf die Plätze, fertig – los!« brüllen und rannte. Hinterher fand ich mich gar nicht so schlecht. Im Mai machte ich bei einem 15-Kilometer-Lauf um den Yamanaka-See mit. Im Juni wollte ich ausprobieren, wie lange ich laufen konnte, und rannte allein um den Kaiserpalast. Ich umrundete ihn in recht zügigem Tempo sieben Mal – 35 Kilometer – und fand es gar nicht so schwer. Meine Beine taten überhaupt nicht weh. Wahrscheinlich könnte ich sogar einen Marathon laufen, dachte ich. Erst später musste ich leidvoll erfahren, dass der schwerste Teil des Marathons erst nach 35 Kilometern beginnt.
    Auf den Fotos von damals sieht man, dass ich noch keine Läuferstatur hatte. Ich hatte noch nicht genug trainiert, um die nötige Muskulatur aufzubauen; meine Arme und Beine waren schlaksig und meine Oberschenkel zu dünn. Es beeindruckt mich selbst, dass ich in diesem Zustand einen ganzen Marathon gelaufen bin. Im Vergleich zu meiner heutigen Statur sehe ich auf den alten Fotos aus wie ein anderer Mensch (meine Muskulatur hat sich durch das fortwährende Training völlig verändert). Aber schon damals spürte ich, wie mein Körper sich täglich veränderte, und ich freute mich darüber. Obwohl ich bereits über dreißig war, hatte ich das Gefühl, mir stünden als Mensch noch viele Möglichkeiten offen. Je länger ich lief, desto mehr davon offenbarte sich mir.
    Trotz meiner Neigung zum Zunehmen hatte sich mein Gewicht durch die tägliche Bewegung ganz von selbst reguliert und dort eingependelt, wo es sein sollte. Der Punkt, an dem ich meinen Körper am mühelosesten bewegen konnte, war gefunden. Allmählich änderten sich auch meine Essgewohnheiten. Gemüse stand nun im Mittelpunkt meines Speiseplans, Protein nahm ich hauptsächlich in Form von Fisch zu mir. Ich hatte noch nie sehr gern Fleisch gegessen, und das zeichnete sich nun immer deutlicher ab. Ich aß weniger Reis, schränkte den Alkoholgenuss ein und verwendete natürliche Zutaten und Gewürze. Aus Süßigkeiten habe ich mir ohnehin noch nie viel gemacht.
    Ich nehme, wie gesagt, leicht zu, wenn ich nichts dagegen unternehme. Im Gegensatz zu mir kann meine Frau essen, was sie will (sie mag zum Beispiel Süßigkeiten sehr, wenn sie auch keine großen Mengen davon verschlingt), und wird nie dick, auch ohne Sport zu treiben. Sie hat kein Gramm Fett zu viel. »Das Leben ist ungerecht«, dachte ich früher oft. Die einen müssen sich unheimlich anstrengen, und den anderen fällt alles in den Schoß.
    Im Nachhinein betrachtet war es vielleicht mein Glück, dass ich mit dieser Anlage zum Zunehmen geboren bin. Wenn ich nicht zunehmen wollte, musste ich täglich trainieren, auf meine Ernährung achten und Maß halten. Ein anstrengendes Leben, aber solange man die Mühe nicht scheut, wird der Stoffwechsel angeregt, sodass man gesünder und kräftiger wird. Bis zu einem gewissen Grad lassen sich auch die Symptome des Alterns mildern. Aber Menschen, die nie dick werden, brauchen keinen Sport zu treiben oder auf ihre Ernährung zu achten. Es entspricht nicht der menschlichen Natur, unnötig lästige Anstrengungen auf sich zu nehmen. Deshalb büßen viele mit zunehmendem Alter ihre körperliche Kraft ein. Wenn man Muskeln und Knochen nicht bewusst einsetzt, verlieren sie zwangsläufig an Stärke. Was wirklich fair ist, erkennt man erst auf lange Sicht. Unter meinen Lesern sind wahrscheinlich auch einige, die, wenn sie nicht aufpassen, sofort zunehmen. Doch aus den genannten Gründen sollte man diese Eigenschaft als ein Geschenk des Himmels nehmen und rein positiv betrachten. Man sollte sich glücklich schätzen, dass die rote Ampel für einen so gut sichtbar ist. Natürlich ist es nicht immer leicht, die Dinge so zu sehen.
    Mir scheint, das Gleiche gilt auch für den Beruf des Schriftstellers. Einem mit Talent begnadeten Autor fließen die Geschichten frei und nach Belieben aus der Feder, ob er etwas dafür tut oder nicht. Wie Wasser aus einer Quelle sprudeln die Sätze hervor, und er beendet seine Werke ohne jede Anstrengung. So etwas kommt vor. Leider gehöre ich nicht zu diesen Glücklichen. Auch

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