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Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede

Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede

Titel: Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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ins Gesicht geschrieben, und in einem Ton, dem man anhörte, für wie blöd er meine Frage hielt, sagte er: »Selbstverständlich. Andauernd.«
    Heute ist mir klar, wie überflüssig diese Frage war. Nein, eigentlich wusste ich es schon damals, aber ich wollte es aus dem Mund von Toshihiko Seko hören. Ich wollte hören, dass wir das Gleiche empfanden, obwohl zwischen uns in Hinblick auf Kraft, Kondition und Motivation ein himmelweiter Unterschied bestand, wenn wir morgens unsere Laufschuhe schnürten. Sekos Antwort erleichterte mich damals ungemein. Ah, dachte ich, eigentlich sind wir doch alle gleich.
    Gestatten Sie mir eine persönliche Bemerkung: Immer wenn ich keine Lust habe zu rennen, sage ich mir: Du kannst deinen Lebensunterhalt als Schriftsteller verdienen, zu Hause und zu Zeiten, zu denen es dir beliebt, und musst dich nicht morgens und abends in volle Pendlerzüge quetschen und an langweiligen Besprechungen teilnehmen. Weißt du eigentlich, was für ein Glück du hast? (Oh doch, das weiß ich.) Im Vergleich dazu ist es ja nun gar nichts, mal ein Stündchen durch die Nachbarschaft zu laufen. Wenn ich mir die überfüllten Züge und die Konferenzen vorstelle, bin ich sofort wieder motiviert, schnüre meine Laufschuhe und laufe ziemlich unbekümmert los. »Wenn ich nicht mal das hinkriege, geschieht’s mir recht«, denke ich. Natürlich weiß ich genau, dass viele Leute einen vollen Zug und unzählige Besprechungen jederzeit einer Stunde Laufen am Tag vorziehen würden.
    Ich war also dreiunddreißig, als ich mit dem Laufen anfing. Noch recht jung, aber kein Jüngling mehr. Das Alter, in dem Jesus starb. Oder Scott Fitzgeralds Niedergang begann. Vielleicht ist dieses Alter so etwas wie eine Wegscheide im Leben, denn zugleich begann damals, etwas verspätet, mein wahres Dasein als Schriftsteller.

3
    SEPTEMBER 2005
KAUAI, HAWAII
    HOCHSOMMER IN ATHEN –
MEIN ERSTER MARATHONLAUF
    Gestern ging der August zu Ende. In diesem Monat (31 Tage) bin ich insgesamt 350 Kilometer gelaufen.
    Juni: 260 km (pro Woche 60 km)
    Juli: 310 km (pro Woche 70 km)
    August: 350 km (pro Woche 80 km)
    Mein Ziel ist der New York City Marathon, der am 6. November stattfindet. Ich musste in meiner Vorbereitung ein paar Dinge ändern, aber im Großen und Ganzen läuft alles glatt. Denn vor fünf Monaten habe ich mit einem festen Trainingsplan begonnen und bin dabei, stufenweise die Länge der Strecken, die ich laufe, zu steigern.
    Im August ist das Wetter in Hawaii wunderschön, und es gab nicht einen Tag, an dem ich wegen Regen nicht laufen konnte. Es hat zwar ab und zu geregnet, aber es war ein angenehmer Regen, der meinen erhitzten Körper kühlte. Im Sommer herrscht an der Nordküste von Kauai immer ein recht gutes Klima, aber dass es so lange schön bleibt, ist selten. Bei diesem Wetter konnte ich nach Herzenslust laufen. Ich bin körperlich in guter Form, keine Probleme. Obwohl ich meine Trainingsstrecke täglich steigere, rebelliert mein Körper nicht. In diesen drei Monaten habe ich mich weder verletzt noch war ich je übermäßig erschöpft. Schmerzen hatte ich ebenfalls nicht.
    Die sommerliche Hitze machte mir nicht das Geringste aus. Ich schütze mich auch nicht besonders davor. Ich achte lediglich darauf, dass ich nicht zu viele kalte Getränke zu mir nehme. Außerdem versuche ich, mehr Obst und Gemüse zu essen. Hawaii, wo man immer preiswert frische Früchte wie Mangos, Papayas und Avocados (buchstäblich auf der Straße) bekommen kann, ist ein idealer Ort für eine sommerliche Ernährung. Allerdings esse ich diese Dinge gar nicht bewusst »gegen die Hitze«; eher verlangt mein Körper ganz von selbst danach.
    Ein weiteres Mittel, um gesund zu bleiben, ist der Mittagsschlaf. Meist werde ich nach dem Mittagessen müde und mache ein Schläfchen auf dem Sofa. Eine halbe Stunde später bin ich wieder hellwach, alle Schlappheit ist verschwunden, und mein Kopf ist klar. Siesta zu halten, wie es in Südeuropa Sitte ist, habe ich mir angewöhnt, als wir in Italien wohnten. Zumindest soweit ich mich erinnere. Es könnte auch sein, dass ich schon immer gern Mittagsschlaf gehalten habe. Ich gehöre zu den Menschen, die, wenn sie müde werden, überall einschlafen können. Unter gesundheitlichem Aspekt sicher eine sehr günstige Eigenschaft. Leider schlafe ich mitunter auch in Situationen ein, in denen man nicht einschlafen sollte.
    Ich habe abgenommen, und mein Gesicht ist etwas schmaler geworden. Es ist ein gutes Gefühl zu beobachten,

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