Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede

Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede

Titel: Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
von meinem früheren Leben.
    Ich hatte nie etwas gegen den Langstreckenlauf. Als ich noch zur Schule ging, machte ich mir nicht viel aus dem Sportunterricht, und Sportfeste waren für mich ungefähr das Langweiligste, was man sich vorstellen konnte, vor allem, weil sie von oben angeordnet waren. Schon immer war es mir zuwider, zu etwas gezwungen zu werden, das ich nicht mochte, und auch noch zu einer Zeit, die mir nicht passte. Dagegen habe ich mich schon immer mächtig ins Zeug gelegt, wenn ich etwas, das ich gerne tat, tun konnte, wann und wie ich wollte. Da ich weder besonders athletisch noch reaktionsschnell bin, war ich nie gut in Sportarten, in denen die Entscheidung von einem einzigen Augenblick abhängt; Langstreckenlauf und Schwimmen entsprachen meinem Naturell eher. Eigentlich war mir das immer klar, und deshalb fügte sich das Lauftraining wohl auch so reibungslos in meinen Alltag ein und wurde Teil meines Lebens.
    Wenn Sie mir einen Exkurs gestatten, der nichts mit dem Laufen zu tun hat, möchte ich sagen, dass es mir mit dem Lernen ähnlich erging. Von der Grundschule bis zur Universität interessierte mich nichts von dem, was mir aufgenötigt wurde. Ich wusste, dass ich lernen musste, und schaffte es auch immerhin, auf die Universität zu kommen, aber ich konnte mich für kein Schulfach begeistern. Meine Zeugnisse waren nie so miserabel, dass man sie keinem zeigen konnte, aber aus meiner ganzen Schulzeit erinnere ich mich nicht an eine besonders gute Note oder an ein Lob. Ich weiß nicht, ob ich in irgendetwas einmal der Beste gewesen bin. Fürs Lernen begann ich mich erst zu interessieren, als ich die formelle Ausbildung hinter mir hatte und ein »Mitglied der Gesellschaft« geworden war. Wenn ich mich für eine Sache interessiere und ihr in meinem Tempo auf meine Weise nachgehen kann, eigne ich mir Kenntnisse und Fähigkeiten ohne viel Mühe an. Zum Beispiel habe ich mir das Übersetzen nach und nach selbst beigebracht, wobei ich einiges an Lehrgeld bezahlt habe. Ich brauchte ziemlich lange dazu und machte viele Umwege, aber was man auf diese Weise gelernt hat, das sitzt.
    Besonders gut gefiel mir, dass ich als Schriftsteller früh zu Bett gehen und früh aufstehen konnte. Als wir den Club hatten, kam ich selten vor dem Morgengrauen ins Bett. Um Mitternacht schlossen wir, dann räumten wir auf, rechneten ab und tranken zur Entspannung noch etwas. So wurde es ganz schnell drei Uhr, und die Dämmerung war nicht mehr fern. Wenn dann im Osten der Himmel hell wurde, saß ich oft noch am Küchentisch und schrieb. Und wenn ich aufwachte, stand die Sonne natürlich bereits hoch am Himmel.
    Gleich nachdem wir den Club aufgegeben hatten und ich Schriftsteller geworden war, änderten wir – meine Frau und ich – unseren Lebensstil radikal. Wir beschlossen, mit der Sonne aufzustehen, und uns schlafen zu legen, sobald es dunkel wurde. So stellten wir uns ein naturverbundenes Leben vor. So lebten anständige Leute. Da wir nun keinen Club mehr hatten, würden wir uns von nun an nur noch mit Leuten treffen, die wir wirklich sehen wollten, und mit anderen so wenig wie möglich. Wir fanden, diese bescheidenen Ansprüche zu erheben stünde uns zu, zumindest für eine Weile. Ich wiederhole mich, aber ich bin eben nie ein geselliger Mensch gewesen. Nun kehrte ich zu meinem eigentlichen Wesen zurück.
    Es war ein großer Einschnitt, nach sieben Jahren von einem »offenen« zu einem »geschlossenen« Leben überzugehen. Eine Zeit lang ein öffentliches Leben zu führen war eine gute Sache, glaube ich; im Nachhinein betrachtet habe ich sehr viel daraus gelernt. Diese Zeit war für mich so etwas wie eine Schule des Lebens, meine wahre Ausbildung. Aber eine solche Existenz kann man nicht ewig führen. Es ist wie mit jeder Schule: Man fängt damit an, man lernt etwas und irgendwann verlässt man sie.
    Ich begann also ein einfaches, geregeltes Leben zu führen: Ich stand um fünf Uhr auf und ging um zehn zu Bett. Jeder Mensch ist natürlich zu einer anderen Tageszeit am leistungsfähigsten; ich bin es am Morgen. Dann kann ich mich konzentrieren und wichtige Arbeiten erledigen. Später treibe ich Sport oder erledige Dinge, die weniger Aufmerksamkeit erfordern. Am Ende des Tages ruhe ich mich aus und arbeite nicht mehr. Ich lese, höre Musik, entspanne mich und gehe möglichst früh zu Bett. Bei diesem Ablauf bin ich im Grunde bis heute geblieben; er hat zum Erfolg meiner Arbeit in den letzten zwanzig Jahren beigetragen.

Weitere Kostenlose Bücher