WoW 13 - Sturmgrimm
spüren dürfen... eigentlich hätte sie überhaupt nichts spüren dürfen.
Der unaufhörliche Gestank nach Verwesung erfüllte ihre Nase. Er war stärker als jemals zuvor seit Gründung der Stadt. Er war so intensiv, dass sie hustete, und sie musste erst tief einatmen, um sich zu beruhigen.
Nur... atmete sie eigentlich gar nicht. Sie war schließlich tot.
Oder doch nicht?
Sylvanas beobachtete ihre Hand. Die bleiche Haut war einem blassen Rosa gewichen.
„Nein..." Sie keuchte beim Klang ihrer eigenen Stimme... Ihre Stimme war, wie sie vor ihrer Verwandlung zur Banshee geklungen hatte.
Varimathras ragte über ihr auf. Der Dämon hielt ihr einen großen Spiegel mit goldenem Rand entgegen. „Siehst du? Ich habe nicht gelogen... zumindest nicht dieses Mal."
Sylvanas starrte sich selbst an, ihr früheres lebendiges, atmendes Ich. Sie berührte ihre Wangen, ihr Kinn, ihre Nase.
„Ich lebe..."
„Ja, das stimmt." Varimathras schnippte mit seinen krallenbewehrten Händen.
Die vier grausigen Hochelfen kamen herbei und packten Sylvanas. Sie stanken fürchterlich. Kleine schwarze Kreaturen krabbelten über die Stellen, wo ihr Fleisch offen vom Knochen hing. Sylvanas wollte sich übergeben, und diese Tatsache allein erschreckte sie noch mehr.
Sie musste sich zusammenreißen. Sie war Kommandeurin der Hochelfen gewesen, und jetzt war sie die Königin der Verlassenen. Sylvanas blickte die Hochelfen an und befahl: „Lasst mich los!"
Aber sie packten nur fester zu. Sylvanas blickte in die eingefallenen Augen des einen - und erkannte darin einen derart starken Hass auf sie, dass sie einfach sprachlos war.
„Vielleicht sind sie ein wenig eifersüchtig", bemerkte Varimathras, der wieder im Schatten versank. „Doch das sollten sie nicht. Du bleibst ja nicht lange so!"
Die Hochelfe schwankte zwischen Angst und Bedauern. „Es hält nicht lange an?"
„Es würde andauern, wenn wir es dir erlauben würden."
Das sagte nicht der Dämon, sondern jemand anderes, der ohne Sylvanas' Wissen eingetreten war. Sie konnte den Neuankömmling von ihrer Position aus nicht sehen. Doch Sylvanas kannte die Stimme gut... und erschauderte.
Varimathras befahl den Wachen, Sylvanas umzudrehen.
Sie erblickte eine in eine schwarze, eisige Rüstung gehüllte Gestalt.
Es war der Lichkönig.
Sie kämpfte darum, sich zu befreien, aber die Wachen hielten sie mit ihrem sprichwörtlichen Todesgriff fest. Schlimmer noch, sie schleiften sie auf den Lichkönig zu.
Arthas packte sie am Kinn. Seine menschlichen Gesichtszüge waren kaum durch die Öffnungen im Helm erkennbar. Frostiger Atem schlug ihr entgegen, als er sprach.
„Du siehst gut aus als Hochelfe... und als Banshee wirkst du noch besser..."
Sie wurde auf die steinerne Plattform gestellt und angekettet. Varimathras trat zum Lichkönig, der erneut seiner Gefangenen über das Kinn strich.
„Diesmal...verwandle ich dich richtig", versprach Arthas. Sein kalter Atem fuhr über Sylvanas' Gesicht, doch es war nicht der Atem, der sie frösteln ließ.
Arthas wollte sie abermals zur Banshee machen...
Sylvanas erinnerte sich noch daran, welche Schmerzen sie bei der letzten schrecklichen Verwandlung erlitten hatte. Sie ahnte, dass sie diesmal einen Schrecken durchleben musste, der tausend Mal stärker war.
„Nein!", schrie sie und versuchte, ihre Kräfte einzusetzen. Unglücklicherweise gehörten ihr diese Kräfte nicht mehr, solange dieser monströse Zauber noch wirkte.
Arthas hob sein langes, glattes Schwert, Frostgram. Das Böse darin stand dem Lichkönig in nichts nach. Er richtete die Spitze auf Sylvanas, und die Waffe füllte ihren panischen Blick aus.
„Ja, fortan wirst du eine wirklich gehorsame Dienerin sein, meine teure Sylvanas... selbst wenn wir dich immer wieder aufs Neue beleben müssen, damit es diesmal auch wirklich richtig funktioniert..."
Sylvanas schrie.
„Sie wird nicht aufwachen", murmelte Sharlindra und spürte in sich ein Gefühl der Furcht, wie sie es seit ihrem eigenen Tod nicht mehr erlebt hatte. Sie beobachtete die anderen Verlassenen um sich herum und erkannte, dass sie dasselbe fühlten. Sylvanas redete über Varimathras, den Verräter, den sie selbst getötet hatte. Und über den Lichkönig, der lange besiegt war! Was für eine Art Traum durchlebte sie nur? Und warum träumte sie überhaupt?
Beinahe die Hälfte von Sylvanas' Untertanen waren in demselben Zustand wie ihre Königin. Mit Ausnahme einiger weniger erging es den anderen Völkern der Horde
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