Wozu wollen Sie das wissen?
hin.«
»Er ist nicht mehr der alte«, sagt Irlma, nachdem wir den langsamen Schritten meines Vaters auf der Treppe gelauscht haben. »Es geht ihm jetzt schon seit zwei oder drei Tagen schlecht.«
»Ist wahr?«, sage ich, schuldbewusst, weil es mir nicht aufgefallen ist. Er ist mir so vorgekommen, wie er mir jetzt immer vorkommt, wenn ein Besuch mich und Irlma zusammenführt – ein wenig unsicher und besorgt, als müsse er auf der Hut sein, als müsse er alle möglichen Erklärungen und Verteidigungen aufbieten, der einen und der anderen gegenüber.
»Er fühlt sich nicht gut«, sagt Irlma. »Das merke ich.«
Sie wendet sich an Harry, der seine warme Jacke angezogen hat.
»Sag mir nur noch eins, bevor du zur Tür rausgehst«, sagt sie und verstellt ihm den Weg. »Sag mir – wie viel Schnur braucht man, um eine Frau festzubinden?«
Harry tut so, als überlege er. »Eine große Frau oder eine kleine?«
»Spielt keine Rolle.«
»Na, dann weiß ich nicht. Kann ich nicht sagen.«
»Zwei Docken und eine Rute«, kräht Irlma, und ein fernes Glucksen erreicht uns, aus Harrys unterirdischer Erheiterung.
»Irlma, du bist ein Teufelsbraten «
»Ja, das bin ich. Ein alter Teufelsbraten. Ja, das bin ich.«
Ich sitze mit meinem Vater im Auto, um Joe Thoms die Kartoffeln zu bringen.
»Dir geht’s nicht gut?«
»Nicht gerade bestens.«
»
Wie
geht’s dir nicht gut?«
»Ich weiß nicht. Kann nicht schlafen. Würd mich nicht wundern, wenn ich die Grippe habe.«
»Wirst du den Arzt rufen?«
»Wenn’s nicht besser wird, werd ich ihn rufen. Wenn ich ihn jetzt rufe, verschwende ich nur seine Zeit.«
Joe Thoms, ein Mann etwa zehn Jahre älter als ich, ist erschreckend hinfällig und zitterig, mit langen, spindeldürren Armen, einem unrasierten, zerstörten, ehemals hübschen Gesicht und grau angelaufenen Augen. Ich weiß nicht, wie er es schaffen soll, jemanden zu verdreschen. Er tappt tastend, um uns zu begrüßen und den Sack Kartoffeln in Empfang zu nehmen, und drängt uns in seinen rauchigen Wohnwagen.
»Ich will die auf jeden Fall bezahlen«, sagt er. »Musst mir bloß sagen, was du dafür kriegst.«
Mein Vater sagt: »Ja, ja.«
Eine riesige Frau steht am Herd und rührt etwas in einem Topf.
Mein Vater sagt: »Peggy, das ist meine Tochter. Riecht gut, egal, was du da kochst.«
Sie antwortet nicht, und Joe sagt: »Ist bloß ein Kaninchen, das wir geschenkt bekommen haben. Hat keinen Sinn, mit ihr zu reden, sie steht mit dem tauben Ohr zu dir. Sie ist taub, und ich bin blind. Ist das nicht zum Verrücktwerden? Ist bloß ein Kaninchen, aber wir haben nichts gegen Kaninchen. Die ernähren sich sauber.«
Jetzt sehe ich, dass die Frau im Ganzen gar nicht so riesig ist. Der Oberarm, den sie uns zuwendet, steht in keinem Verhältnis zu ihrem Körper, er ist angeschwollen wie ein Riesenbovist. Der Ärmel ist aus dem Kleid herausgerissen worden, das Ärmelloch ausgefranst, mit herunterhängenden Fäden, sodass die gewaltige Schwellung bloßliegt und im rauchigen Halbdunkel des Wohnwagens glänzt.
Mein Vater sagt: »Das kann sehr fein schmecken, so ein Kaninchen.«
»Tut mir leid, dass ich dir kein Gläschen anbieten kann«, sagt Joe. »Aber wir haben nichts im Haus. Wir trinken nicht mehr.«
»Mir ist auch nicht recht danach, um die Wahrheit zu sagen.«
»Nichts mehr im Haus, seit wir in die Kirche eingetreten sind. Peggy und ich. Hast du gehört, dass wir beigetreten sind?«
»Nein, Joe. Davon hatte ich nicht gehört.«
»Ja, sind wir. Und es ist uns ein Trost.«
»Schön.«
»Ich habe erkannt, dass ich einen großen Teil meines Lebens falsch verbracht habe. Peggy, die hat das auch erkannt.«
Mein Vater sagt: »Hm-hm.«
»Ich sage mir, kein Wunder, dass der Herr mich mit Blindheit geschlagen hat. Er hat mich mit Blindheit geschlagen, aber ich sehe seinen Willen darin. Ich sehe den Willen des Herrn. Seit dem Wochenende vom ersten Juli haben wir keinen Tropfen Alkohol mehr im Haus. Das war das letzte Mal. Der erste Juli.«
Er streckt sein Gesicht dicht vor das meines Vaters.
»Siehst du den Willen des Herrn?«
»Ach, Joe«, sagt mein Vater mit einem Seufzer. »Joe, ich glaube, das ist alles nur Quatsch.«
Das überrascht mich, denn mein Vater ist normalerweise ein Mann der verbindlichen Diplomatie, der ausweichenden Antworten. Er hat zu mir immer fast warnend von der Notwendigkeit gesprochen, sich anzupassen, die Leute nicht vor den Kopf zu stoßen.
Joe Thoms ist noch mehr überrascht, als
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