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Wozu wollen Sie das wissen?

Wozu wollen Sie das wissen?

Titel: Wozu wollen Sie das wissen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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vergangen, seit wir Abendbrot gegessen haben.
    »Er fing an zu ächzen und am Vorleger zu zerren. Er war wie verrückt vor Elend, und ich konnte nichts tun. Dann, so um viertel nach sieben, hab ich die Veränderung gehört. Ich kann an den Geräuschen, die er macht, hören, wenn er’s in eine bessere Lage runtergewirtschaftet hat, wo er drücken kann. Es ist noch etwas Apfelkuchen übrig, den wir nicht aufgegessen haben, möchtest du lieber den Apfelkuchen?«
    »Nein, danke. Alles bestens.«
    Ich nehme ein Schinkensandwich.
    »Also mache ich die Tür auf und versuche ihn zu überreden, nach draußen zu gehen, wo er’s rausdrücken kann.«
    Der Kessel pfeift. Sie gießt Wasser auf meinen Pulverkaffee.
    »Warte einen Augenblick, ich hole dir richtige Sahne – aber zu spät. Direkt auf dem Vorleger, da hat er’s rausgedrückt. So einen Klumpen.« Sie zeigt mir ihre verklammerten Fäuste. »Und hart. Meine Herrn. Den hättst du mal sehen sollen. Wie ein Stein.«
    »Und ich hatte recht«, sagt sie. »War vollgestopft mit Federkielen.«
    Ich rühre den schlammigen Kaffee um.
    »Und danach
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, kam das weiche Zeug raus. Hast den Damm gebrochen, jawohl.« Das sagt sie zu Buster, der den Kopf hebt. »Na, du hast hier vielleicht alles vollgestunken. Aber das meiste ging auf den Vorleger, also habe ich ihn rausgebracht und mit dem Gartenschlauch abgespritzt«, sagt sie und wendet sich wieder an mich. »Dann hab ich Seife und die Scheuerbürste genommen und ihn nochmal mit dem Gartenschlauch abgespritzt. Danach hab ich auch den Fußboden gescheuert und mit Lysol eingesprüht und die Tür aufgelassen. Riechst du hier drin jetzt noch was?«
    »Nein.«
    »Ich war heilfroh, dass er sich erleichtern konnte. Der arme alte Kerl. Wenn er ein Mensch wäre, dann wär er jetzt vierundneunzig.«
     
    Während des ersten Besuchs, den ich meinem Vater und Irlma abstattete, nachdem ich aus meiner Ehe fortgegangen und in den Ostteil des Landes gezogen war, schlief ich in dem Zimmer, in dem früher meine Eltern geschlafen hatten. (Mein Vater und Irlma schlafen jetzt in dem Raum, der früher mein Zimmer war.) Ich träumte, dass ich gerade dieses Zimmer betreten hatte, in dem ich tatsächlich schlief, und meine Mutter auf den Knien vorfand. Sie strich die Scheuerleiste gelb an. Weißt du denn nicht, sagte ich, dass Irlma dieses Zimmer blau und weiß streichen will? Ja, das weiß ich, sagte meine Mutter, aber ich dachte, wenn ich mich beeile und mit allem fertig bin, dann wird sie das Zimmer in Ruhe lassen, dann wird sie sich nicht die Mühe machen, frische Farbe zu überstreichen. Aber du wirst mir helfen müssen, sagte sie. Du wirst mir helfen müssen, es fertig zu kriegen, denn ich muss es tun, solange sie schläft.
    Und das war ganz typisch für sie, früher – in einem großen Energieausbruch – fing sie etwas an, dann forderte sie alle auf, ihr dabei zu helfen, weil sie plötzlich von Mattigkeit und Hilflosigkeit übermannt wurde.
    »Ich bin tot, weißt du«, sagte sie zur Erklärung. »Deshalb muss ich es tun, solange sie schläft.«
     
    Irlma ist uns beiden voraus
.
    Was hat mein Vater damit gemeint?
    Dass sie nur die Dinge weiß, die für sie nützlich sind, aber diese Dinge sehr gut weiß? Dass sie sich zuverlässig nimmt, was sie braucht, unter nahezu allen Umständen? Da sie eine Person ist, die ihre Bedürfnisse nie in Frage stellt, stets davon überzeugt, dass sie im Recht ist mit allem, was sie empfindet oder sagt oder tut.
    Als ich sie einmal einer Freundin beschrieb, sagte ich, sie sei jemand, der einem Toten auf der Straße die Stiefel ausziehen würde. Dann fügte ich natürlich hinzu, und was ist daran falsch?
    …
Wunder
.
    Sie ist ein Wunder
.
     
    Es war etwas geschehen, wofür ich mich schäme. Als Irlma davon sprach, mein Vater habe sich gewünscht, schon immer mit ihr zusammen gewesen zu sein, ziehe sie meiner Mutter vor, sagte ich zu ihr in kühlem, vernünftigem Ton – in diesem gebildeten Tonfall, der schon von sich aus die Kraft hat zu verletzen –, ich bezweifelte nicht, dass er das gesagt habe. (Das tue ich auch wirklich nicht. Mein Vater und ich teilen miteinander die – nicht allzu lobenswerte – Angewohnheit, oft zu anderen mehr oder weniger das zu sagen, was sie unserer Meinung nach hören möchten.) Ich sagte, ich bezweifelte nicht, dass er das gesagt habe, aber ich hielte es nicht für taktvoll von ihr, mir das zu erzählen. Ja,
taktvoll
. Das war das Wort, das ich gebrauchte.
    Sie war bass

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