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Wozu wollen Sie das wissen?

Wozu wollen Sie das wissen?

Titel: Wozu wollen Sie das wissen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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Nichts, nur dieses einzelne, laienhaft eingeritzte Kreuz. Aber in der Nordostecke des Friedhofs stießen wir doch noch auf eine Überraschung. Dort befand sich eine zweite Krypta, wesentlich kleiner als die erste, mit glatter Zementabdeckung. Keine Erde, kein Gras, aber dafür eine stattliche Zeder, die aus einem Riss in dem Zement wuchs und deren Wurzeln sich von dem nährten, was sich darunter verbarg.
    Es sind so etwas wie Hügelgräber, sagten wir. Etwas, das in Mitteleuropa aus vorchristlicher Zeit überlebt hatte?
     
    In derselben Stadt, in der meine Biopsie vorgenommen werden sollte und in der ich die Mammographie hatte machen lassen, befindet sich ein College, an dem mein Mann und ich früher studiert haben. Ich darf keine Bücher ausleihen, weil ich kein Examen abgelegt habe, aber ich kann die Karte meines Mannes benutzen, und ich kann nach Herzenslust in den Regalen und in den Fachgebietsräumen stöbern. Bei unserem nächsten Besuch dort ging ich in den Heimatkunderaum, um in Büchern über Grey County nachzulesen und so viel wie möglich über den Landkreis Sullivan herauszubekommen.
    Ich las von einer Plage von Wandertauben, die in einem Jahr im späten neunzehnten Jahrhundert die gesamte Ernte vernichteten. Und von einem schrecklichen Winter um 1840 , der so lange dauerte und so vernichtende Kälte brachte, dass jene ersten Siedler von Kuhkohl lebten, den sie ausgruben. (Ich weiß nicht, was Kuhkohl war – waren das normale Kohlköpfe, in einer Miete eingelagert, um ans Vieh verfüttert zu werden, oder etwas Ungenießbareres, eine Wildpflanze wie Stinkender Zehrwurz? Und wie konnte das bei diesem Wetter, bei steinhart gefrorenem Boden, ausgegraben werden? Es gibt immer Rätsel.)
    Ein Mann namens Barnes hatte sich zu Tode gehungert, indem er seinen Anteil seiner Frau und seinen Kindern überließ, damit sie überlebten.
    Ein paar Jahre danach schrieb eine junge Frau an ihren Freund in Toronto, es gebe dies Jahr Beeren in Hülle und Fülle, mehr als man zum Essen oder Dörren pflücken könne, und sie habe beim Pflücken einen Bären gesehen, so nah, dass die glitzernden Tropfen Beerensaft an seinen Barthaaren zu erkennen gewesen seien. Aber ihr sei nicht bange, schrieb sie – sie werde durch den Busch laufen, um diesen Brief aufzugeben, Bären hin oder her.
    Ich fragte nach Kirchengeschichten, in der Hoffnung, dort fände sich etwas über lutherische oder deutsch-katholische Gemeinden, das mir helfen könnte. Es ist schwierig, solche Anfragen in Collegebibliotheken zu stellen, denn man wird oft gefragt, was genau wollen Sie wissen, und wozu wollen Sie das wissen? Manchmal ist es sogar erforderlich, den Grund schriftlich anzugeben. Wenn man eine Seminararbeit, eine Diplomarbeit schreibt, hat man natürlich einen guten Grund, aber was, wenn man sich einfach nur für etwas interessiert? Am besten sagt man wahrscheinlich, man schreibe eine Familienchronik. Bibliothekare sind an Leute gewöhnt, die das tun – besonders, wenn sie graue Haare haben –, und es gilt allgemein als ein vernünftiger Zeitvertreib.
Man sei einfach interessiert
klingt entschuldigend, wenn nicht sogar unseriös, und man riskiert, für eine Müßiggängerin gehalten zu werden, die in der Bibliothek herumtrödelt, eine, die nichts mit sich anzufangen weiß, kein richtiges Lebensziel hat, die nichts Besseres zu tun hat. Ich dachte daran, auf meinen Fragebogen zu schreiben:
Wissenschaftliche Untersuchung zum Fortbestand von Hügelgrabbestattungen bei der Besiedlung Ontarios
. Aber ich hatte nicht den Mut dazu. Ich dachte, man könnte von mir verlangen, es zu beweisen.
    Ich machte tatsächlich eine Kirche ausfindig, die mit unserem Friedhof in Verbindung stehen konnte, nordwestlich davon. St. Peter hieß sie, eine lutherisch-evangelische Kirche, falls sie noch da war.
     
    Im Landkreis Sullivan wird man daran erinnert, wie die Felder überall vor dem Aufkommen der großen Landwirtschaftsmaschinen aussahen. Die Felder dort haben die Größe behalten, die mit einem von Pferden gezogenen Pflug, dem Schnitter und dem Garbenbinder bewirtschaftet werden konnte. Die alten Holzzäune stehen noch, auch hier und da eine Mauer aus Feldsteinen, und entlang dieser Grenzen wachsen Weißdorn, Würgekirsche, Goldrute und Waldrebe.
    Diese Felder sind so geblieben, wie sie waren, denn ihre Zusammenlegung lohnt sich nicht. Die Feldfrüchte, die darauf angebaut werden können, sind die Mühe nicht wert. Zwei große, grobe Moränen krümmen sich über

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