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Wozu wollen Sie das wissen?

Wozu wollen Sie das wissen?

Titel: Wozu wollen Sie das wissen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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auf der nördlichen Seite einer ost-westlichen, unbefestigten Straße, und ganz in der Nähe standen viele Nadelbäume. Wir verbrachten drei oder vier Nachmittage damit, es zu suchen, und standen vor einem Rätsel. Aber es war wie immer ein Vergnügen, in diesem Teil der Welt zusammen unterwegs zu sein und die Landschaft zu betrachten, die wir so gut zu kennen meinen und die immer eine Überraschung für uns bereithält.
     
    Die Landschaft hier ist ein Zeugnis uralter Ereignisse. Sie wurde von dem vordringenden, stillstehenden und zurückweichenden Eis geformt. Das Eis inszenierte seine Eroberungen und Rückzüge hier mehrere Male und wich zum letzten Mal vor ungefähr fünfzehntausend Jahren zurück.
    Vor gar nicht langer Zeit, könnte man sagen. Vor gar nicht langer Zeit, jetzt, wo ich mich daran gewöhnt hatte, die Vergangenheit mit anderen Augen zu betrachten.
    Eine solche von den Eiszeiten geprägte Landschaft ist verletzlich. Viele ihrer verschiedenen Ausformungen bestehen aus Kies, und Kies lässt sich leicht abbauen und ist immer gefragt. Das ist das Material, das diese Nebenstraßen passierbar macht – Kies aus den abgenagten Hügeln, den geplünderten Abhängen, die zu Löchern im Land gemacht worden sind. Und Farmer können sich damit ein bisschen Geld verdienen. Eine meiner frühesten Erinnerungen geht in den Sommer zurück, in dem mein Vater den Kies in unserer Flussniederung verkaufte, für uns gab es die Aufregung der den ganzen Tag lang vorbeifahrenden Lastwagen, dazu noch die Wichtigkeit des Schildes an unserem Tor.
Spielende Kinder
. Das waren
wir
. Als dann die Lastwagen nicht mehr kamen und der Kies abtransportiert war, gab es völlig neue Gruben und Vertiefungen, in denen sich bis fast in den Sommer Reste vom Frühlingshochwasser hielten. In solchen Vertiefungen siedeln sich allmählich Wildkräuter an, dann wachsen Gras und Sträucher.
    An den großen Kiesgruben sieht man Hügel, die sich in Höhlen verwandelt haben, als hätte sich ein Teil der Landschaft irgendwie umgestülpt. Und kleine Seen kräuseln sich dort, wo früher nur Auen oder Flussniederungen waren. Die Hänge überziehen sich mit der Zeit mit üppigem Bewuchs. Aber die Spuren des Eises sind für immer fort.
    Also muss man immer wieder nachschauen, auf die Veränderungen achten, alles betrachten, solange es noch da ist.
    Wir haben besondere Landkarten, mit denen wir unterwegs sind. Diese Karten bilden das Begleitmaterial zu einem Buch mit dem Titel
Die Physiographie des Südens von Ontario
von Lyman Chapman und Donald Putnam – von denen wir unter uns ein wenig salopp, aber durchaus mit Respekt als Put and Chap reden. Diese Karten zeigen die üblichen Straßen und Städte und Flüsse, aber sie zeigen auch noch anderes – Dinge, die mich vollkommen überraschten, als ich sie zum ersten Mal sah.
    So zum Beispiel diese hier – sie zeigt einen Abschnitt vom Süden Ontarios südlich der Georgian Bay. Straßen, Städte und Flüsse erscheinen, auch Kreisgrenzen. Aber dazu noch – Flecken von hellem Gelb, frischem Grün, Schlachtschiffgrau und dunklerem Schmutziggrau und sehr hellem Grau und Kleckse oder dicke oder dünne Schlangen aus Blau und Braun und Orange und Rosa und Violett und Burgunderrot. Haufen von Sommersprossen. Grüne Bänder wie Grasschlangen. Schmale, zittrige Striche mit einem Rotstift.
    Was ist das alles?
    Die gelbe Farbe zeigt Sand, nicht entlang der Ufer, sondern im Inland, oft am Rand eines Sumpfes oder eines lange verschwundenen Sees. Die Sommersprossen sind nicht rund, sondern bonbonförmig und erscheinen in der Landschaft als halb vergrabene Eier, mit der stumpfen Seite zur Fließrichtung des Eises. Das sind Drumlins – häufig an manchen Stellen, selten an anderen. Manche bringen es zu großen, glatten Hügeln, andere lugen kaum aus der Erde hervor. Sie geben ihren Namen dem Boden, in dem sie vorhanden sind (Drumlin-Geschiebelehm – gelbbraun) und auch dem etwas gröberen Boden, der keine enthält (Geschiebelehm ohne Drumlins oder Moränenschutt – schlachtschiffgrau). Der Gletscher legte sie wie Eier ab, entledigte sich säuberlich und sparsam des Materials, das er bei seinem Planierraupenvorstoß aufgesammelt hatte. Und wo ihm das nicht gelang, ist der Boden natürlich gröber.
    Die violetten Schlangen sind Endmoränen, sie zeigen, wo das Eis auf seinem langen Vormarsch zum Stillstand kam und an seinem Rand einen Wall aus Schutt ablegte. Die leuchtend grünen Striche sind Esker, und sie sind die

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