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Wozu wollen Sie das wissen?

Wozu wollen Sie das wissen?

Titel: Wozu wollen Sie das wissen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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Feldes, bis der schreckliche Winter 1935 ihnen ein Ende bereitete.
    Allerdings waren die Farmer gesetzlich verpflichtet, hinter ihrem Gehöft ein Waldstück stehen zu lassen. Sie durften dort Bäume sowohl zum eigenen Verbrauch als auch zum Verkauf fällen. Holz hatten sie natürlich als Allererstes geerntet. Die Felsenulme lieferte Schiffsspanten und die Weymouthskiefer Schiffsmasten, bis kaum noch eine Felsenulme oder Weymouthskiefer übrig war. Nun wurden die noch verbliebenen Pappeln, Eschen, Ahornbäume, Eichen, Buchen, die Zedern und Hemlocktannen unter Schutz gestellt.
    Durch das Waldstück – genannt der Busch – hinter dem Gehöft meines Großvaters floss der Blyth-Bach, vor langer Zeit ausgebaggert, als das Land urbar gemacht wurde. Die damals ausgehobene Erde bildete einen hügeligen Wall, auf dem Zederndickichte wuchsen. Dort begann mein Vater zu jagen. Er schlüpfte nach und nach aus dem Schulalltag und in das Leben eines Pelzjägers. Er konnte dem Blyth-Bach viele Meilen weit in beiden Richtungen folgen, zu seiner Quelle im Landkreis Grey oder zu der Stelle, wo er in den Maitland River mündet, der in den Lake Huron mündet. An manchen Stellen – besonders in dem Städtchen Blyth – verlief der Bach ein Stück weit auf öffentlichem Grund, doch größtenteils floss er durch Farmen, mit dem Busch auf beiden Seiten, so dass es möglich war, ihm zu folgen und kaum etwas von den Farmen zu bemerken, dem gerodeten Land, den geradlinigen Straßen und Zäunen – es war möglich, sich vorzustellen, man sei draußen im Wald, wie er vor hundert Jahren gewesen war und für Hunderte von Jahren davor.
    Mein Vater hatte zu der Zeit viele Bücher gelesen, Bücher, die er zu Hause fand, in der Stadtbibliothek von Blyth und in der Bücherei der Sonntagsschule. Er hatte Bücher von Fenimore Cooper gelesen und die Mythen oder Halbmythen der Wildnis in sich aufgesogen, von denen die meisten der Bauernjungen um ihn herum keine Ahnung hatten, da nur wenige von ihnen Bücher lasen. Die meisten Jungen, deren Phantasie von diesen Dingen ebenso entzündet wurde wie seine, dürften in Großstädten gelebt haben. Wenn sie reich genug waren, fuhren sie jeden Sommer mit ihren Familien in den Norden, sie machten Kanufahrten, und später gingen sie angeln oder jagen. Wenn ihre Familien wahrhaft reich waren, befuhren sie die Flüsse des Hohen Nordens mit indianischen Führern. Menschen, die sich nach dieser Erfahrung der Wildnis sehnten, fuhren schnurstracks durch unseren Teil des Landes, ohne dort das geringste bisschen Wildnis zu bemerken.
    Aber Farmersjungen in Huron County, die kaum etwas über dieses weite, tiefe Land des Präkambrischen Schildes mit seinen Wasserläufen wussten, zog es trotzdem – zumindest einige von ihnen, eine Zeit lang – zu den verwilderten Streifen entlang der Bäche, wo sie angelten und jagten und Flöße bauten und Fallen stellten. Auch wenn sie kein Wort über diese Art von Leben gelesen hatten, probierten sie es ein wenig aus. Doch sie gaben es bald auf, um ihr wahres Leben voll schwerer Arbeit anzutreten, das eines Farmers.
    Und einer der Unterschiede zwischen den Farmern damals und denen von heute ist, dass zu jener Zeit niemand Anspruch auf regelmäßige Erholung von der Arbeit erhob.
    Mein Vater, als ein Farmersjunge mit dieser besonderen, phantasievollen oder romantischen Wahrnehmung (nicht, dass ihm diese Wörter gefallen hätten), mit einer von Fenimore Cooper inspirierten Sehnsucht, wandte sich eben nicht im Alter von achtzehn, neunzehn oder zwanzig Jahren von diesem jugendlichen Treiben ab. Statt den Busch aufzugeben, ließ er sich ernsthafter darauf ein. Man begann, über ihn zu reden und ihn eher für einen Trapper als für einen jungen Farmer zu halten. Und für einen einzelgängerischen und etwas sonderbaren jungen Mann, auch wenn er niemandem Angst einflößte oder unsympathisch war. Er stahl sich aus dem Leben eines Farmers davon, wie zuvor aus dem Streben nach höherer Bildung und einem gehobenen Beruf. Er stahl sich hin zu einem Leben, das er sich wahrscheinlich nicht klar vorstellen konnte, da er nur wusste, was er nicht wollte, aber nicht, was er eigentlich wollte.
    Ein Leben im Busch, abseits der Städte, am Rande der Farmen – wie war das zu schaffen?
    Sogar hier, wo Männer und Frauen meistens das wurden, was für sie vorgesehen war, hatten es einige Männer geschafft. Sogar in diesem gezähmten Land gab es ein paar Einsiedler, ein paar Männer, die Farmen geerbt

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