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Wozu wollen Sie das wissen?

Wozu wollen Sie das wissen?

Titel: Wozu wollen Sie das wissen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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jederzeit bereit, sich zurückzuziehen. Ich kenne das sehr gut. Er erschuf dort ein Geheimnis, ein feindseliges Gefüge aus Regeln und Rätseln, weit über alles hinaus, was in Wirklichkeit vorhanden war. Er spürte ganz nah den glühenden Atem der Lächerlichkeit, er überschätzte den Wettkampf und besann sich auf die Familienwarnung, die bäurische Weisheit: halt dich raus.
    Zu jener Zeit waren die Stadtbewohner der Ansicht, die Leute vom Lande seien im Allgemeinen begriffsstutziger, wortkarger, ungehobelter als sie selbst, und trotz ihrer Körperkraft fügsamer. Und die Farmer meinten, Leute, die in der Stadt wohnten, hätten ein leichtes Leben und würden kaum Situationen überstehen, die Seelenstärke, Selbstsicherheit und harte Arbeit verlangten. Sie glaubten das trotz der Tatsache, dass die Arbeitszeiten von Männern, die in Fabriken oder Geschäften arbeiteten, lang waren und die Löhne niedrig, trotz der Tatsache, dass viele Häuser in der Stadt kein fließendes Wasser, keine Toilettenspülung und keinen elektrischen Strom besaßen. Aber die Städter hatten am Mittwoch- oder Samstagnachmittag und den ganzen Sonntag über frei, und das reichte für Verweichlichung. Die Farmer sahen ihr Leben lang keinen einzigen freien Tag. Nicht einmal die schottischen Presbyterianer; Kühe achten den Sabbath nicht.
    Wenn die Leute vom Lande in die Stadt kamen, um einzukaufen oder in die Kirche zu gehen, wirkten sie oft steif und schüchtern, und die Städter erkannten nicht, dass dieses Benehmen von einem Gefühl der Überlegenheit herrührte. Von einem Ich-lasse-mich-doch-von-denen-nicht-hinters-Licht-führen-Gefühl. Geld spielte dabei kaum eine Rolle. Farmer bewahrten ihre stolze und argwöhnische Zurückhaltung auch gegenüber Stadtbewohnern, die davon nicht annähernd so viel besaßen wie sie.
    Mein Vater sagte später immer, er sei zu jung auf die Weiterführende Schule gekommen, um zu wissen, was er tat, er hätte bleiben sollen, etwas aus sich machen sollen. Aber er sagte das fast nur der Form halber, nicht, als mache es ihm etwas aus. Und er hatte ja auch nicht gleich beim ersten Anzeichen, dass es Dinge gab, die er nicht verstand, die Flinte ins Korn geworfen. Er ließ sich nie darauf festlegen, wie lange er geblieben war. Drei Jahre und einen Teil vom vierten? Zwei Jahre und einen Teil vom dritten? Er hörte nicht plötzlich auf – es war nicht so, als sei er am einen Tag zur Schule gegangen und am nächsten für immer fortgeblieben. Er begann einfach, immer mehr Zeit im Freien zu verbringen und immer weniger Zeit in der Schule, so dass seine Eltern zu dem Schluss kamen, sie brauchten sich keine Gedanken mehr darüber zu machen, ihn für die Fünfte Klasse in eine größere Stadt zu schicken, und auch keine Hoffnungen mehr auf ein Universitätsstudium. Sie hätten es sich leisten können – wenn auch nicht ohne Einschränkungen, aber es war offenkundig nicht das, was er wollte. Und es konnte nicht als große Enttäuschung angesehen werden. Er war ihr einziger Sohn, das einzige Kind. Die Farm würde auf ihn übergehen.
    In Huron County gab es damals nicht mehr freie Natur als jetzt. Vielleicht sogar weniger. Das Ackerland war in der Zeit zwischen 1830 und 1860 urbar gemacht worden, als der Huron-Trakt erschlossen wurde, und es war gründlich urbar gemacht worden. Viele Bäche hatte man ausgebaggert – es galt als fortschrittlich, sie zu begradigen, damit sie zwischen den Feldern wie zahme Kanäle verliefen. Die frühen Siedler hassten allein schon den Anblick eines Baumes und bewunderten die Aussicht auf offenes Land. Und die männliche Herangehensweise an das Land war herrscherlich, diktatorisch. Nur Frauen war es gestattet, Augen für die Landschaft zu haben und nicht ständig an ihre Unterwerfung und Fruchtbarkeit zu denken. Meine Großmutter zum Beispiel war berühmt dafür, eine Reihe von Silberahornbäumen entlang des Feldweges gerettet zu haben. Diese Bäume wuchsen neben einem Getreidefeld und wurden groß und alt – ihre Wurzeln waren beim Pflügen im Weg, und sie überschatteten zu viel vom Getreide. Mein Großvater und mein Vater gingen eines Morgens hinaus und trafen Anstalten, den Ersten von ihnen zu fällen. Aber meine Großmutter sah aus dem Küchenfenster, was sie taten, eilte mit wehender Schürze hinaus und beschimpfte sie so lange, bis sie schließlich ihre Äxte und die Zugsäge nehmen und den Schauplatz verlassen mussten. Die Bäume blieben und schmälerten den Ertrag am Rand des

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