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Wozu wollen Sie das wissen?

Wozu wollen Sie das wissen?

Titel: Wozu wollen Sie das wissen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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hatten und sie nicht bewirtschafteten, oder die einfach Vagabunden waren, von Gott weiß woher gekommen. Sie angelten und jagten und durchstreiften die Gegend, waren verschwunden und kamen wieder, waren verschwunden und kamen nicht wieder – nicht wie die Farmer, die, wenn sie ihr Gehöft verließen, mit der Kutsche oder dem Pferdeschlitten, dann später mit dem Auto, immer einen bestimmtem Anlass hatten und ein bestimmtes Ziel.
    Er verdiente Geld mit seiner Fallenstellerei. Einige Felle brachten ihm so viel wie zwei Wochen Arbeit in einer Dreschkolonne. Also konnten seine Eltern sich nicht beklagen. Er bezahlte für seine Verpflegung, und er half seinem Vater immer noch, wenn es erforderlich war. Sein Vater und er redeten nie miteinander. Sie konnten den ganzen Vormittag damit zubringen, im Busch Holz zu schlagen, ohne ein Wort zu sagen, nur das Wenige, um sich über die Arbeit zu verständigen. Sein Vater hatte kein Interesse für den Busch außer als Holzvorrat. Er war für ihn wie ein Haferfeld, mit dem einen Unterschied, dass die Ernte aus Brennholz bestand.
    Seine Mutter war neugieriger. An Sonntagnachmittagen spazierte sie in den Busch. Sie war eine große, aufrechte Frau mit stattlicher Figur, die aber immer noch ausschritt wie ein Junge. Ihre Röcke hochraffend, schwang sie die Beine geschickt über jeden Zaun. Sie kannte sich mit Wildblumen und -beeren aus und wusste nur vom Gesang her den Namen jedes Vogels zu nennen.
    Er zeigte ihr die Reusen, mit denen er Fische fing. Das beunruhigte sie, denn die Fische konnten nicht nur an irgendeinem Tag in die Reusen geraten, sondern auch am heiligen Sonntag. Sie hielt sich äußerst streng an die presbyterianischen Regeln und Vorschriften, und diese Strenge hatte eine besondere Geschichte. Sie war nicht im presbyterianischen Glauben aufgewachsen, sondern hatte eine sorgenfreie Kindheit und Jungmädchenzeit als Mitglied der anglikanischen Kirche verbracht, der Kirche von England. Es gab nicht viele Anglikaner in jenem Teil des Landes, und für so manche kamen sie gleich nach den Papisten, waren aber auch nicht weit weg von den Freidenkern. Ihre Religion wirkte auf Außenstehende oft wie nichts als Verneigungen und Wechselgesänge, mit kurzen Predigten, bequemen Auslegungen, weltlichen Pfarrern, viel Pomp und Trugwerk. Eine Religion ganz nach dem Geschmack ihres Vaters, der ein geselliger Ire gewesen war, ein Geschichtenerzähler und Trunkenbold. Nach ihrer Heirat ging meine Großmutter ganz im presbyterianischen Glauben ihres Mannes auf, wurde strikter als viele, die darin erzogen worden waren. Sie war von Geburt eine Anglikanerin, die sich kopfüber in den presbyterianischen Wettbewerb um Rechtschaffenheit stürzte, geradeso, wie sie von Geburt ein halber Junge war und dann von ganzem Herzen mit allen Farmersfrauen wetteiferte. Man hätte sich fragen können, tat sie das aus Liebe?
    Mein Vater und die, die sie gut kannten, glaubten das nicht. Sie und mein Großvater passten nicht zueinander, obwohl sie sich nie stritten. Er nachdenklich, schweigsam; sie lebhaft, gesellig. Nein, nicht aus Liebe, sondern aus Stolz tat sie das alles. Um in keiner Weise übertroffen oder kritisiert zu werden. Um von niemandem hören zu müssen, dass sie eine einmal gefällte Entscheidung bereute oder irgendetwas, was sie nicht haben konnte, vermisste.
    Sie vertrug sich weiterhin gut mit ihrem Sohn, trotz der Sonntagsfische, die zu braten sie sich weigerte. Sie betrachtete interessiert die Felle, die er ihr zeigte, und hörte sich an, wie viel er für sie bekam. Sie wusch seine übelriechende Kleidung, die nicht nur nach Fischködern stank, sondern auch nach Eingeweiden und abgezogenen Häuten. Sie konnte sich über ihn ärgern und ihm verzeihen, als sei er ein wesentlich jüngerer Sohn. Und vielleicht kam er ihr wirklich jünger vor, mit seinen Fallen und Fischzügen entlang des Baches und seinem einzelgängerischen Wesen. Er stieg nie den Mädchen nach und geriet mit seinen Freunden aus der Kinderzeit, die das sehr wohl taten, immer weiter auseinander. Sie hatte nichts dagegen. Vielleicht half sein Verhalten ihr, die Enttäuschung zu ertragen, dass er die Schule abgebrochen hatte, nicht auf dem Weg zum Arzt oder Seelsorger war. Vielleicht konnte sie sich dadurch vormachen, dass so etwas immer noch aus ihm werden konnte, dass die alten Pläne – ihre Pläne für ihn – noch nicht begraben, sondern nur aufgeschoben waren. Wenigstens verwandelte er sich nicht einfach in einen

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