Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wozu wollen Sie das wissen?

Wozu wollen Sie das wissen?

Titel: Wozu wollen Sie das wissen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
Vom Netzwerk:
war überrascht, dass er so etwas konnte und dass es ihn so glücklich machte. Geradeso, als läge darin für ihn eine Zukunft.
    Hier ist etwas aus einem Text mit dem Titel »Großväter«, Teil von dem, was mein Vater über seinen eigenen Großvater Thomas Laidlaw schrieb, denselben Thomas, der im Alter von siebzehn Jahren nach Morris gekommen war und in der Hütte das Kochen besorgen musste.
    Er war ein gebrechlicher, weißhaariger alter Mann, mit dünnem langen Haar und blasser Haut. Zu blass, denn er litt unter Blutarmut. Er nahm Vita-Gold, ein rezeptfreies Mittel, für das viel Reklame gemacht wurde. Es muss geholfen haben, denn er wurde über achtzig … In meiner ersten Erinnerung an ihn hatte er sich schon in die Kleinstadt zurückgezogen und die Farm an meinen Vater verpachtet. Er besuchte die Farm, oder mich, wie ich dachte, und ich besuchte ihn. Wir unternahmen Spaziergänge. Ich hatte bei ihm ein Gefühl von Sicherheit. Er war viel gesprächiger als mein Vater, aber ich kann mich nicht an längere Gespräche mit ihm erinnern. Er erklärte mir alles, als entdeckte er es gerade für sich selbst. Vielleicht betrachtete er die Welt aus der Perspektive eines Kindes.
    Er sprach nie barsch, er sagte nie: »Komm von dem Zaun runter«, oder: »Tritt nicht in die Pfütze.« Er zog es vor, der Natur ihren Lauf zu lassen, damit ich auf diese Weise lernte. Die Handlungsfreiheit zeitigte ein gewisses Maß an Vorsicht. Es gab kein übermäßiges Mitleid, wenn man sich doch einmal verletzt hatte.
    Wir machten langsame, gemessene Spaziergänge, denn er konnte nicht sehr schnell gehen. Wir sammelten Steine mit Fossilien merkwürdiger Geschöpfe aus einem anderen Erdzeitalter, denn das war kieseliges Land, wo solche Steine zu finden waren. Wir hatten jeder eine Sammlung. Ich erbte seine, als er starb, und hob beide viele Jahre lang auf. Sie waren ein Verbindungsglied zu ihm, von dem ich mich nur sehr ungern getrennt habe.
    Wir gingen an den nahe gelegenen Eisenbahngleisen entlang zu der hohen Böschung, von der die Gleise über eine andere Eisenbahnlinie und einen mächtigen Bach führten, auf einem riesigen Brückenbogen aus Stein und Beton. Man konnte viele hundert Fuß tief auf die andere Eisenbahn hinunterschauen. Ich bin kürzlich noch einmal dort gewesen. Die Böschung ist seltsam eingeschrumpft; die Eisenbahn darauf fährt nicht mehr. Die Kanadische Pazifikbahn ist immer noch da unten, aber längst nicht mehr so tief unten, und der Bach ist wesentlich kleiner …
    Wir gingen zum Sägewerk ganz in der Nähe und sahen den wirbelnden und jaulenden Sägen zu. Das war damals die Zeit aller möglicher kunstvoller Drechselarbeiten, die benutzt wurden, um die Dachsimse von Häusern zu verzieren, die Veranden oder jede andere Stelle, die sich verzieren ließ. Es gab vielerlei ausgesonderte Stücke mit interessanten Mustern, die man mitnehmen konnte.
    Abends gingen wir zum Bahnhof, dem alten Rangierbahnhof oder »Großkotz«, wie er in London genannt wurde. Man konnte ein Ohr aufs Gleis legen und den Zug weit fort rumpeln hören. Dann ein fernes Pfeifen, und die Luft prickelte von Vorfreude. Das Pfeifen kam näher und wurde lauter, und schließlich platzte der Zug ins Blickfeld. Die Erde bebte, fast, dass der Himmel sich öffnete, und das riesige Ungeheuer glitt kreischend mit gequälten Bremsen näher, bis es hielt …
    Hier holten wir die Abendzeitung. Es gab in London zwei Zeitungen, die
Free Press
und den
Tiser (Advertiser)
. Der
Tiser
war liberal, und die
Free Press
war konservativ.
    Darin gab es keine Kompromisse. Man war entweder im Recht oder eben nicht. Großvater war ein guter Liberaler der alten George-Brown-Schule und nahm den
Tiser
, also wurde auch ich ein Liberaler und bin bis heute einer geblieben … Und so entstanden in diesem besten aller Systeme Regierungen je nach der Zahl kleiner Liberaler oder kleiner Konservativer, die alt genug wurden, um zur Wahl zu gehen …
    Der Schaffner packte den Haltegriff neben der Tür. Er rief: »Fährtich!« und winkte. Dampf schoss in Stößen heraus, die Räder klirrten und stöhnten und setzten sich in Bewegung, schneller und schneller, vorbei an der Stadtwaage, vorbei an den Viehhöfen, über die Brücken, der Zug wurde kleiner und kleiner wie eine sich entfernende Galaxie, bis er ganz entschwand in die unbekannte Welt des Nordens …
    Einmal war ein Besucher da, mein Namensvetter aus Toronto, ein Vetter von Großvater. Der große Mann galt als Millionär, aber er

Weitere Kostenlose Bücher