Wozu wollen Sie das wissen?
feiner schwarzer Sand.
»Das sieht aus wie Kohlenstaub, aber weißt du, wie sie das nennen? Grünen Sand.«
»
Grünen
Sand?«
»Wird zum Gießen benutzt. Das ist Sand mit einem Bindemittel drin, Ton zum Beispiel. Oder manchmal ist es Leinöl. Interessiert dich das überhaupt?«
Ich sagte ja, teils aus Stolz. Ich wollte nicht als dummes Mädchen gelten. Und ich fand es auch wirklich interessant, allerdings weniger die einzelnen Erklärungen, mit denen mein Vater mich daraufhin versorgte, als vielmehr die allgemeine Wirkung – die Düsternis, der feine Staub in der Luft, die Vorstellung, dass es Orte wie diesen überall im Land gab, in jeder größeren und kleineren Stadt. Orte, deren Fenster mit dunkler Farbe überstrichen waren. Man fuhr im Auto oder im Zug daran vorbei und verschwendete nie einen Gedanken an das, was drinnen vorging. Etwas, was das ganze Leben eines Menschen vereinnahmte. Ein nie endender, immer wieder die Aufmerksamkeit beanspruchender, das Leben verschlingender Vorgang.
»Wie ein Grab hier drin«, sagte mein Vater, als griffe er einige meiner Gedanken auf.
Aber er meinte etwas anderes.
»Im Vergleich zu tagsüber. Der Krach dann, das kannst du dir nicht vorstellen. Die Leitung will, dass sie Ohrenstöpsel tragen, aber sie tun’s nicht.«
»Warum nicht?«
»Keine Ahnung. Zu unabhängig. Sie wollen auch nicht die Feuerschürzen tragen. Sieh mal da. Das nennen sie die Kuppel.«
Das war ein mächtiges schwarzes Rohr mit einer Kuppel oben drauf. Er zeigte mir, wo das Feuer gemacht wurde, auch die Pfannen, mit denen das geschmolzene Metall transportiert und in die Formen gegossen wurde. Er zeigte mir Metallklumpen, die wie groteske, kurze Gliedmaßen aussahen, und erklärte mir, das seien die Formen der Hohlkörper in den Gussstücken. Gleichsam die verfestigte Luft in den Hohlkörpern. Er erzählte mir diese Dinge mit anhaltender Befriedigung in der Stimme, als bereitete ihm das, was er erläuterte, ein verlässliches Vergnügen.
Wir bogen um eine Ecke und trafen auf zwei Männer bei der Arbeit, nur in Hose und Unterhemd.
»Also das hier sind zwei prächtige, hart arbeitende Kerle«, sagte mein Vater. »Kennst du Ferg? Kennst du Geordie?«
Ich kannte sie, oder zumindest wusste ich, wer sie waren. Geordie Hall trug Brot aus, musste aber nachts in der Gießerei arbeiten, um zusätzliches Geld zu verdienen, weil er so viele Kinder hatte. Es gab einen Witz, dass seine Frau ihn zwang, zu arbeiten, um ihn sich vom Leib zu halten. Ferg war ein jüngerer Mann, den man oft in der Stadt sah. Er bekam keine Mädchen, denn er hatte ein Gewächs im Gesicht.
»Sie will mal nachsehen, wie wir arbeitenden Kerle so leben«, sagte mein Vater mit einem Unterton humoriger Entschuldigung. Sich bei ihnen für mich entschuldigend und bei mir für sie – beiläufige Entschuldigungen ringsum. Das war sein Stil.
Die beiden Männer arbeiteten achtsam zusammen und benutzten lange, feste Haken, um ein schweres Gussstück aus einer Sandkiste zu heben.
»Das ist ganz schön heiß«, sagte mein Vater. »Ist heute gegossen worden. Jetzt müssen sie den Sand stampfen und die Kiste vorbereiten. Dann den nächsten Guss machen. Es ist Akkordarbeit, weißt du. Wird per Gussstück bezahlt.«
Wir gingen weiter.
»Die beiden sind schon eine ganze Weile zusammen«, sagte er. »Arbeiten immer zusammen. Ich tu dieselbe Arbeit allein. Schwerste Arbeit, die’s hier gibt. Ich hab eine Weile gebraucht, um mich dran zu gewöhnen, aber jetzt macht’s mir nichts mehr aus.«
Vieles von dem, was ich an jenem Abend sah, sollte bald außer Gebrauch kommen. Die Kuppel, die von Hand bedienten Gießpfannen, der tödliche Staub. (Er war tatsächlich tödlich – überall in der Stadt, auf den Veranden kleiner, reinlicher Häuser, saßen immer ein paar gelbgesichtige, stoische Männer an der frischen Luft. Alle wussten und nahmen hin, dass sie an der
Gießereikrankheit
, an dem Staub in ihren Lungen, starben.) Viele besondere Fertigkeiten und Gefahren sollten verschwinden. Viele alltägliche Risiken, zusammen mit viel tollkühnem Stolz, mit einfallsreicher Findigkeit und Improvisationsgabe. Die Verfahren, die ich sah, waren wahrscheinlich denen des Mittelalters näher als denen von heute.
Und ich denke mir, dass sich der besondere Charakter der Männer, die in der Gießerei arbeiteten, ebenso geändert haben muss, wie sich der Arbeitsprozess änderte. Sie müssen nicht viel anders geworden sein als die Männer, die in den Fabriken
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