Wozu wollen Sie das wissen?
ein, als wir aus der Schule kamen. Sie fragte: »Gehst du gleich nach Hause?«, und ich sagte ja, worauf sie neben mir herging.
Ich fragte sie, ob sie wieder zu Hause wohne, und sie sagte: »Nein. Immer noch bei Gloria.«
Nachdem wir ein Stück gegangen waren, sagte sie: »Ich geh nur da raus, um mal nachzusehen, was los ist.«
Sie sagte das ganz offen, nicht wie etwas Vertrauliches. Aber ich wusste, dass mit
da raus
ihr Elternhaus gemeint sein musste, und dass
was los ist
zwar nichts Konkretes besagte, aber nichts Gutes zu bedeuten hatte.
Im vergangenen Winter war Dahlias Ansehen in der Schule gestiegen, denn sie war die beste Spielerin in der Basketballmannschaft, und die hatte beinahe die Kreismeisterschaft gewonnen. Es gab mir ein Gefühl von Auszeichnung, neben ihr zu gehen und von ihr ins Vertrauen gezogen zu werden, soweit sie dazu bereit war. Ich kann mich nicht genau erinnern, aber ich denke, als sie auf die Highschool kam, muss sie noch all die Probleme ihrer Familie mit sich herumgeschleppt haben. Die Stadt war so klein, dass wir alle auf diese Weise anfingen, mit günstigen Voraussetzungen, die es zu nutzen galt, oder mit einem Schatten, aus dem es sich zu lösen galt. Ihr war es inzwischen weitgehend gelungen, sich zu befreien. Die geistige Unabhängigkeit und das Vertrauen in den eigenen Körper, die man braucht, um Sportlerin zu werden, trugen ihr Achtung ein und schreckten alle ab, die daran dachten, ihr etwas Beleidigendes an den Kopf zu werfen. Sie war auch gut angezogen – sie hatte nur wenige Sachen, aber die waren ganz in Ordnung, nicht wie die matronenhaften abgelegten Kleider, die Mädchen vom Lande oft trugen, oder die selbst geschneiderten Stücke, die meine Mutter für mich zustande brachte. Ich erinnere mich an einen roten Pullover mit V-Ausschnitt, den sie oft trug, und an einen Schottenrock mit Royal-Stewart-Muster. Vielleicht war sie für Gloria und Susannah das Aushängeschild und der Stolz der Familie, und sie hatten zusammengelegt, um sie einzukleiden.
Wir hatten die Stadt schon hinter uns gelassen, als sie wieder etwas sagte.
»Ich muss aufpassen, was mein Alter so treibt«, sagte sie. »Er soll sich hüten, Raymond zu verprügeln.«
Raymond. Das war der Bruder.
»Meinst du, er könnte das machen?«, fragte ich. Ich hatte das Gefühl, vortäuschen zu müssen, dass ich weniger über die Familie wusste, als ich – ebenso wie alle anderen – tatsächlich wusste.
»Ja«, sagte sie nachdenklich. »Ja. Er könnte. Raymond kam immer besser weg als wir übrigen, aber jetzt, wo er als Einziger noch zu Hause ist, habe ich meine Zweifel.«
»Hat er dich geschlagen?«
Ich sagte das fast beiläufig und gab mir Mühe, nur mäßig interessiert zu klingen, nicht im Mindesten entsetzt.
Sie prustete. »Machst du Witze? Bevor ich weggegangen bin, hat er beim letzten Mal versucht, mir mit der Schaufel den Schädel einzuschlagen.«
Nachdem wir ein Stückchen weitergegangen waren, sagte sie: »Ja, und ich hab nur zu ihm gesagt, komm schon. Komm schon, mach und bring mich um. Mach, dann wirst du gehängt. Aber dann bin ich abgehauen, weil ich dachte, ja, klar, aber ich hab dann nicht die Befriedigung, ihn hängen zu sehen.«
Sie lachte. Ich sagte ermutigend: »Hasst du ihn?«
»Klar hasse ich ihn«, sagte sie mit nicht viel mehr Ausdruck, als hätte sie gesagt, dass sie Würstchen hasste. »Wenn jemand mir sagte, dass er im Fluss ertrinkt, würde ich hingehen und mich ans Ufer stellen und jubeln.«
Dazu gab es nichts zu sagen. Aber ich fragte: »Was, wenn er dir jetzt hinterherjagt?«
»Er wird mich nicht zu sehen kriegen. Ich werde ihm nur nachspionieren.«
Als wir an die Gabelung unserer Straßen kamen, sagte sie fast fröhlich: »Willst du mitkommen? Willst du sehen, wie ich ihm nachspioniere?«
Wir gingen mit ernst gesenkten Köpfen über die Brücke und sahen durch die Spalten zwischen den Bohlen auf den Hochwasser führenden Fluss. Ich war voller Besorgnis und Bewunderung.
»Im Winter bin ich oft hergekommen«, sagte sie. »Wenn es dunkel war, bin ich immer bis an die Küchenfenster gegangen. Jetzt bleibt es zu lange hell. Und ich habe immer gedacht, er wird die Fußstapfen im Schnee sehen und wissen, dass jemand ihm nachspioniert hat, und das wird ihn verrückt machen.«
Ich fragte, ob ihr Vater ein Gewehr habe.
»Klar«, sagte sie. »Was soll schon sein, wenn er rauskommt und mich erschießt? Er erschießt mich, und dann wird er gehängt und fährt zur Hölle. Keine
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