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Wozu wollen Sie das wissen?

Wozu wollen Sie das wissen?

Titel: Wozu wollen Sie das wissen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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arbeiteten oder in anderen Berufen. Bis zu der Zeit, von der ich rede, hatten sie kräftiger und rauher gewirkt als die übrigen Arbeiter; sie hatten mehr Stolz und neigten vielleicht eher zur Selbstdramatisierung als Männer, deren Arbeit nicht so schmutzig oder gefährlich war. Sie waren zu stolz, um irgendeinen Schutz vor den Gefährdungen zu verlangen, denen sie ausgesetzt waren, und wie mein Vater gesagt hatte, verschmähten sie sogar das wenige an Schutz, das ihnen geboten wurde. Es hieß, sie waren zu stolz, um sich mit einer Gewerkschaft abzugeben.
    Stattdessen bestahlen sie die Gießerei.
    »Ich erzähl dir mal was von Geordie«, sagte mein Vater, als wir weitergingen. Er machte jetzt »seine Runde« und musste Stechuhren in verschiedenen Teilen des Gebäudes drücken. Dann musste er sich daranmachen, die übrigen Böden zu filzen. »Geordie lässt gerne ein bisschen Bauholz oder so was mitgehen. Ein paar Kisten voll. Alles, was er meint, gebrauchen zu können, für Reparaturen am Haus oder für einen Anbau. Also hatte er neulich Abend eine Ladung Zeugs, und als es dunkel war, ist er rausgegangen und hat’s hinten im Auto verstaut, damit’s schon drin ist, wenn er mit der Arbeit fertig ist. Und er hat nichts davon geahnt, aber Tom war im Büro und stand zufällig am Fenster und hat ihn beobachtet. Tom war nicht mit dem Auto da, seine Frau hatte das Auto, war irgendwohin gefahren, und Tom war nochmal zu Fuß vorbeigekommen, um was zu erledigen oder was zu holen, das er vergessen hatte. Er ist also Geordie auf die Schliche gekommen, und er hat gewartet, bis er ihn von der Arbeit kommen sah, und dann ist er rausgegangen und hat gesagt, he, Sie. He, Sie, hat er gesagt, können Sie mich bei mir vorbeifahren? Meine Frau hat das Auto, hat er gesagt. Also sind sie in Geordies Auto gestiegen, die andern standen drumrum und haben gegnickert, und Geordie hat Blut und Wasser geschwitzt, und Tom hat keinen Ton gesagt. Hat nur dagesessen und vor sich hin gepfiffen, während Geordie seine Mühe hatte, den Schlüssel ins Zündschloss zu stecken. Er hat sich von Geordie nach Hause fahren lassen und keinen Piepton gesagt. Sich kein einziges Mal umgedreht und nach hinten geschaut. Hat er auch nie vorgehabt. Wollte ihn nur schwitzen lassen. Und hat’s am nächsten Tag überall rumerzählt.«
    Es wäre einfach, aus dieser Geschichte zu viel zu machen und davon auszugehen, dass es zwischen der Direktion und den Arbeitern einen familiären Umgang gab, eine Duldsamkeit, sogar ein Verständnis für die gegenseitigen Schwierigkeiten. Und ein wenig gab es das auch, aber das hieß nicht, dass es nicht auch viel Verbitterung und Rohheit und natürlich Betrug gab. Aber Witze waren wichtig. Die Männer, die abends arbeiteten, versammelten sich bei fast jedem Wetter in dem kleinen Raum meines Vaters, dem Hausmeisterzimmer – an heißen Abenden aber draußen vor dem Haupttor, um zu rauchen und zu reden, während sie eine ungenehmigte Pause einlegten. Sie erzählten von Streichen, die vor kurzem oder vor vielen Jahren gespielt worden waren. Manchmal redeten sie auch über ernste Dinge. Sie stritten sich darüber, ob es Gespenster gibt, und erzählten von Leuten, die behaupteten, eines gesehen zu haben. Sie unterhielten sich auch über das Geld – wer welches hatte, wer welches verloren hatte, wer welches erwartet und nicht bekommen hatte und wo die Leute es aufbewahrten. Mein Vater erzählte mir Jahre später von diesen Gesprächen.
    Eines Abends fragte jemand: Welches ist die beste Zeit im Leben eines Mannes?
    Einige sagten, wenn du ein kleiner Junge bist und dich die ganze Zeit herumtreiben kannst und im Sommer runter zum Fluss gehen und im Winter auf der Straße Eishockey spielen kannst und nichts weiter im Kopf hast als Herumtreiben und Spaß haben.
    Oder wenn du ein junger Bursche bist und mit Mädchen ausgehst und noch keine Verpflichtungen hast.
    Oder wenn du frisch verheiratet bist, falls du aus Liebe geheiratet hast, und auch noch ein bisschen später, wenn die Kinder noch ganz klein sind und herumtollen und noch keine schlechten Eigenschaften gezeigt haben.
    Mein Vater ergriff das Wort und sagte: »Jetzt. Ich glaube, vielleicht jetzt.«
    Sie fragten ihn, warum.
    Er sagte, weil man noch nicht in dem Alter sei, wo das eine oder andere einen im Stich lasse, aber alt genug, um zu erkennen, dass man viele Dinge, die man sich vom Leben versprochen habe, nie kriegen werde. Es sei schwer zu erklären, wie man in solch einer

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