Wozu wollen Sie das wissen?
und ihre Kleidung und ihr Verhalten eine bestimmte Gemütsverfassung zu erkennen gaben, sodass alles an ihnen sagte:
Ich weiß, wie ich aussehen und mich benehmen sollte, und wenn ich es nicht tue, dann geht das niemanden etwas an
, oder:
Mir ist alles egal, um mich steht es zu schlimm, denkt, was ihr wollt
.
Heutzutage hielte man Mrs Newcombe für einen ernsten Fall, für chronisch depressiv, und ihr Mann mit seiner brutalen Art würde Besorgnis und Mitleid erregen.
Diese Leute brauchen Hilfe
. Zu jener Zeit wurden sie so genommen, wie sie waren, und durften ihr Leben führen, ohne dass irgendjemand auf den Gedanken gekommen wäre, sich einzumischen. Sie warfen einfach nur interessanten Gesprächsstoff ab. Es ließe sich sagen – und es wurde auch gesagt, dass er alle vor den Kopf stieß und dass sie einem leidtun konnte. Dabei herrschte die Überzeugung, dass manche Menschen geschaffen sind, andere unglücklich zu machen, und dass manche sich darauf einlassen, unglücklich gemacht zu werden. Es war eben Schicksal und nicht zu ändern.
Die Newcombes hatten fünf Töchter bekommen und dann einen Sohn. Die Mädchen hießen April, Corinne, Gloria, Susannah und Dahlia. Ich fand diese Namen hübsch und phantasievoll und stellte mir gerne vor, dass die Schönheit der Mädchen ihren Namen entsprach, ganz wie bei den Töchtern des bösen Riesen im Märchen.
April und Corinne hatten das Elternhaus schon vor einiger Zeit verlassen, also konnte ich mir kein Bild von ihnen machen. Gloria und Susannah lebten in der Stadt. Gloria war verheiratet und von der Bildfläche verschwunden, wie es Mädchen nach der Heirat taten. Susannah arbeitete im Haushaltswarengeschäft, ein stämmiges Mädchen, das etwas schielte, überhaupt nicht hübsch war, aber ganz normal aussah. (Schielen galt zu jener Zeit als eine Spielart des Normalen und nicht als besonderes Unglück, nichts, was behandelt werden musste, ebenso wenig wie Allergien.) Sie wirkte in keiner Weise eingeschüchtert wie ihre Mutter oder brutal wie ihr Vater. Und Dahlia war zwei Jahre älter als ich, die Erste in ihrer Familie, die auf die Highschool ging. Sie war ebenfalls keine großäugige, lockige, wunderschöne Märchenriesentochter, aber sie war hübsch und robust, mit dichten blonden Haaren, kräftigen Schultern und festen, hohen Brüsten. Sie hatte achtbare Zensuren und tat sich in Ballspielen hervor, besonders im Basketball.
In meinen ersten Monaten auf der Highschool legten wir einen Teil des Schulweges zusammen zurück. Sie ging auf der Landstraße und über die Brücke in die Stadt. Ich wohnte am Ende der eine halbe Meile langen Straße, die parallel dazu auf der Nordseite des Flusses verlief. Bis dahin hatten wir unser Leben, könnte man sagen, in Rufweite voneinander verbracht, aber die Schulbezirke waren so eingeteilt, dass ich immer auf die Schule in der Stadt gegangen war, während die Newcombes eine ländliche Schule weiter außerhalb der Stadt besuchten. In den ersten zwei Jahren, in denen Dahlia auf der Highschool war und ich immer noch die Mittelschule besuchte, müssen wir denselben Weg gehabt haben, obwohl wir ihn nie zusammen zurückgelegt hätten – das gab es einfach nicht, Schüler der Highschool gingen nicht an der Seite von Schülern der Mittelschule. Aber jetzt, wo wir beide auf die Highschool gingen, trafen wir uns meistens an der Stelle, wo die Straßen zusammenliefen, und wenn eine von uns die andere kommen sah, wartete sie.
So war es in meinem ersten Herbst auf der Highschool. Miteinander zu gehen bedeutete jedoch nicht, dass wir Freundinnen wurden. Es wäre nur ungewöhnlich gewesen, allein zu gehen, jetzt, wo wir beide auf der Highschool waren und denselben Weg hatten. Ich weiß nicht, worüber wir redeten. In meiner Vorstellung gab es lange Phasen des Schweigens, aufgrund von Dahlias Altersüberlegenheit und einer Ernsthaftigkeit an ihr, die alle albernen Gesprächsthemen ausschloss. Aber ich kann mich nicht erinnern, dass dieses Schweigen unangenehm war.
Eines Morgens erschien sie nicht, und ich ging allein weiter. Im Umkleideraum in der Schule sagte sie zu mir: »Ich gehe den Weg nicht mehr, denn ich wohne jetzt in der Stadt. Ich wohne bei Gloria.«
Und wir sprachen kaum noch miteinander bis zu einem Tag im Vorfrühling – jener Jahreszeit, die ich eingangs erwähnte, wo die Bäume noch kahl waren, aber sich schon röteten, die Krähen und Möwen sich tummelten und die Farmer ihren Pferden Befehle zuriefen. Sie holte mich
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