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eine Metzgersfrau, ohne Chic. Das war wohl ihre
Art, den gekünstelten jungen Mädchen entgegenzutreten, die von den Wänden
herablächelten, auf Fotos mit der Unterschrift von Harcourt. Pin-up-Girls mit
tollen Brüsten, perfektem Make-up und dem ganzen Kram. Die kompetente
Mademoiselle Hélène (zum Teufel mit dem Namen!) schminkte sich nicht. Das war
auch gut so. Es hätte nichts gerettet.
„Monsieur Nestor Burma?“ fragte
sie und musterte mich, als hätte ich einen anstößigen Fleck auf der Nase oder
die Hose offen.
Ihre Stimme paßte zu ihr. Ich
sagte, daß Nestor Burma tatsächlich mein Name sei und daß... Sie unterbrach
mich. Sie wußte Bescheid. Ich hatte eine Verabredung mit Madame Madeleine.
Richtig. Sie wies mir einen Sitzplatz zu und ging 1 nachsehen, ob
die Bahn frei war. Ich blieb mit dem fernen Klavierspiel alleine. Sie kam
zurück, forderte mich auf, ihr zu folgen — was ich nicht ohne Furcht tat — ,
und stellte mich der Chefin der Agentur Interstar vor.
Das Zimmer wurde durch zwei
hohe Fenster erhellt. Es war eine Idee kleiner als die Halle der Gare de l’Est.
Ich versuchte nicht, zur Decke zu blicken. Dafür bin ich zu kurzsichtig. Auch hier
schmückten Fotos von Künstlern beiderlei Geschlechts, ja sogar dreierlei
Geschlechts, die Wände. Einige sehr bekannte, andere weniger bekannte
Gesichter. An einem Ehrenplatz hing das Plakat des Schlagerstars Gil Andréa. Ob
er lächelte oder beißen wollte, war nicht ganz klar. Die Mitte des Zimmers war
frei. Nur ein Teppich lag dort, wie ein totes Kamel mitten in der Wüste. Eine
ganze Truppe von Stuntmen, Luft- oder Bodenakrobaten hätte sich hier
produzieren können. Der Ort schien dafür wie geschaffen. Drei elegante, bequeme
Sessel schienen darauf zu warten, daß man sie zu etwas anderem als zur
Dekoration benutzte. In einer Ecke prangte ein Schreibtisch aus Glas. Anordnung
und passende Beleuchtung folgten den ästhetischen Prinzipien der Bühne. Auf dem
Schreibtisch ein Telefon, mehrere Päckchen Zigaretten, ein goldenes Feuerzeug,
ein Aschenbecher. Unter dem Schreibtisch schaute ein sehr hübsches Paar Beine
in cognac-farbenen Nylonstrümpfen hervor. Hinter dem Schreibtisch thronte die
schönste Blondine, die ich in meinem Leben jemals gesehen hatte. Es mußte wohl
schon eine Ewigkeit her sein, daß sie die zwanzig Kerzen auf ihrer
Geburtstagstorte ausgepustet hatte. Aber trotzdem... Grünliche Augen mit
seidigen Wimpern, eine schmale Nase und ein Lächeln, das ihr bestimmt spielend
eine zusätzliche Provision einbrachte bei allen interessanten Verträgen, die
durch ihre aparten Hände mit den graziösen Fingern gingen. Eine angenehme
Abwechslung zu Hélène. Ihrer, nicht meiner. Sie trug ein streng geschnittenes
schwarzes Kostüm. Darunter hatte sie, wenn es hoch kam, Büstenhalter und Slip
an, was die Strenge milderte. Ich wünschte mir sehnlichst, mit ihr ins Geschäft
zu kommen. Man kann nie wissen.
Nach zwei Schritten in dem
warmen, duftenden Raum blieb ich stehen, meinen Hut in der Hand.
„Treten Sie näher, Monsieur
Burma“, sagte sie mit einer warmen, zärtlichen, sanften Stimme.
Ich gehorchte. Sie wies neben
ihren Schreibtisch auf einen Sessel, den ich bis dahin nicht bemerkt hatte, da
er kleiner war als die anderen. Ich setzte mich, und sie begann mit der
Musterung. Ihr Lächeln verschwand nicht von ihren rosafarbenen Lippen, aber
wohin sollte es auch gehen? Und lag es nur auf ihren Lippen? Ihre dunklen Augen
taxierten mich. Nach welchem Rezept sie mich vernaschen wollte, wußte ich noch
nicht. Mir war aber klar, daß diese Frau ein sehr zäher Geschäftspartner war.
Mir war auch klar, daß sie ihre Leute gut einschätzen konnte. Um einen
Privatdetektiv kommen zu lassen, mußte sie wohl ganz schön in der Tinte sitzen.
Ich traute ihr durchaus zu, sich selbst wehren zu können. Man mußte bestimmt
ein riesiges Feuerwerk abbrennen lassen, um sie zufriedenzustellen. Na ja...das
bringt der Beruf mit sich. Ich wartete geduldig auf das Ende der Begutachtung.
Die ganze Zeit über hörte ich die Klaviermusik, die gedämpft zu uns drang.
Vielleicht sollte dadurch eine gewisse Atmosphäre geschaffen werden. Vielleicht
aber bildete sich wirklich jemand ein, Klavier spielen zu können.
Endlich ließ Madame Souldre von
mir ab. Der Ausdruck ihres Lächelns veränderte sich, wurde sanft und
verführerisch, wie eine blühende Rose, rosafarben. Der Impresario griff nach
einer Schachtel Chesterfield, öffnete sie, nahm eine Zigarette und bot
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