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Wu & Durant 02 - Am Rand der Welt

Wu & Durant 02 - Am Rand der Welt

Titel: Wu & Durant 02 - Am Rand der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ross Thomas
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wartete, lauschte. Es kam keine Antwort.
    Er verließ das Wohnzimmer und ging langsam über den langen Flur zu ihrem Schlafzimmer. Die Tür war geschlossen. Durant griff nach dem Türknauf, zögerte, öffnete die Tür und trat ein.
    Sie lag nahe dem Fußende des großen Messingbettes am Boden, reisefertig gekleidet in langer grauer Hose und einer dunkelblauen Bluse. Neben ihrer linken Hand lag eine schwere, dunkelgraue Tweedjacke; sie hatte immer gesagt, es würde kalt, sobald man Hawaii erreichte. Ihre Augen waren geschlossen, der Mund stand offen, und man hatte ihr in die Brust gestochen. Durant kniete neben ihr nieder und sah, daß es drei Stiche waren und daß sie nicht sehr geblutet hatte.
    Er wußte nie, wie lange er neben Emily Cariagas Körper gekniet hatte. Es mochte eine, es konnten aber auch zehn Minuten gewesen sein. Aber nachdem sie sich schließlich von Emily Cariaga in einen Leichnam verwandelt hatte, erhob sich Durant, ging um das Bett herum, rief die Polizei an und danach Artie Wu.
     
    Der Name Hermenegildo Cruz stand in der Mitte der geprägten Visitenkarte, die der Detective Lieutenant aus Manila Durant gereicht hatte. In der unteren linken Ecke war eine Telefonnummer. In der unteren rechten verkündete ein Wort in kursiver Sechspunktschrift: Mordkommission.
    Durant vermutete, daß Lieutenant Cruz die Karten auf eigene Kosten hatte drucken lassen, denn es schien unwahrscheinlich, daß die Polizei von Manila die Prägung bezahlt hatte. Durant fand überdies, daß der Detective der Mordkommission fast so originell aussah wie seine Visitenkarte – mit seinem vanillefarbenen Anzug aus Rohseide, den braunweißen Schuhen mit Lilienkappe und den kaum sichtbaren Blockabsätzen. Dazu trug er ein blaues Chambray-Hemd mit Buttondown-Kragen, das Durant für einen Markenartikel von Paul Stuart hielt. Die Krönung bildete eine Krawatte, handbemalt mit einem dünnen silbrigen Wasserfall und hohen Pinien, die entweder von fehlgeleiteter Naturverbundenheit oder außerordentlich schlechtem Geschmack zeugte.
    Obwohl er nicht gerade groß war, hatte Lieutenant Cruz eines dieser langen, schmalen Gesichter, die durch ihre Feinknochigkeit fast hübsch wirken. Unter einer kleinen geraden und witternden Nase wuchs ein Schnurrbart. Keiner von den Macho-Bärten der amerikanischen Highway-Polizisten, sondern einer von der nonchalant gepflegten Sorte, die bei Filmstars der dreißiger und vierziger Jahre geschätzt war. Außerdem hatte der Lieutenant der Mordkommission eine Menge sorgfältig gebürsteten schwarzen Haars, garniert mit einer hochgekämmten Stirnlocke. Die Locke diente einer teuren Piloten-Sonnenbrille als Ruhesims. Unter der Sonnenbrille, dem Haar und einer glatten Stirn blickte Durant ein Paar der gescheitesten braunen Augen an, die er je gesehen hatte.
    Er und Lieutenant Cruz saßen an je einem Ende der Couch im Wohnzimmer neben dem Flügel. Emily Cariagas Handtasche lag noch immer auf dem zugeklappten Deckel, ihr Koffer und die Reisetasche standen auf dem Boden daneben. Durant hatte alle drei durchsucht, bevor die Polizei eingetroffen war.
    Im Haus befanden sich noch etwa ein Dutzend Polizisten in Uniform und Zivil. Einer von ihnen, ein knurrig aussehender uniformierter Sergeant mittleren Alters, sprach in einer Mischung aus Englisch und Tagalog ins Wohnzimmertelefon, während er die Angehörigen des Opfers von dessen Tod unterrichtete. Sein überraschend sanfter Tonfall war so gedämpft, daß Durant von dem, was er sagte, nichts verstehen konnte.
    Zum sechsten oder siebten Mal stellte Lieutenant Cruz Durant dieselbe Frage, wobei er sie erneut anders formulierte. »Sie sind also völlig sicher, daß Sie niemanden und nichts Ungewöhnliches bemerkt haben?«
    »Zwei Tote«, sagte Durant. »Das ist für mich ungewöhnlich genug.«
    »Lassen wir die beiden einen Moment beiseite.«
    »Nichts«, sagte Durant und versuchte, tief einzuatmen, nur um wieder loszuhusten. Lieutenant Cruz betrachtete ihn mitfühlend.
    »Leiden Sie an Asthma oder Bronchitis, Mr. Durant?«
    »Asthmatische Bronchitis«, sagte Durant, der nicht sicher war, ob es ein solches Leiden gab. »Unter Streß bricht es manchmal durch. Ich bin wohl allergisch gegen Streß.« Er lächelte schwach, in der Hoffnung, sein Lächeln möge als Entschuldigung für seinen offenkundigen Mangel an Mumm aufgefaßt werden.
    »Rauchen Sie?« fragte Cruz.
    »Ich versuche aufzuhören.«
    Lieutenant Cruz’ manikürte rechte Hand griff in die Luft. »Sie müssen

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