Wu & Durant 02 - Am Rand der Welt
Etagenportier vorbei und hastete über den Gang zu Suite 542, wo sie leise klopfte. Sekunden später öffnete ihr Booth Stallings die Tür.
»Ich glaube, ich habe ein kleines Problem«, sagte sie mit einer Stimme, die kaum lauter als ein Flüstern war.
Stallings streckte seinen Kopf heraus und schaute den Gang auf und ab. »Kommen Sie rein«, sagte er und öffnete die Tür so weit, daß sie eintreten konnte. Dann schloß er die Tür, verriegelte sie und legte die Kette vor. Als er sich umwandte, sah er Georgia Blue mitten im Wohnzimmer der Suite stehen, die Pose linkisch, die Miene unsicher. Stallings fand, daß sie beinahe so aussah, als vermisse sie etwas, vielleicht einen entscheidenden Körperteil – einen Fuß oder sogar einen Arm –, bis er begriff, daß es ihre ungeheure Selbstsicherheit war, die sich verflüchtigt hatte. Sie hat sie irgendwo verloren, entschied er. Oder jemand hat sie ihr genommen.
»Setzen Sie sich«, sagte er.
Einen Augenblick lang schien es, als habe sie ihn nicht verstanden. Dann lächelte sie, als handele es sich um die freundlichste Einladung, die ihr je untergekommen war. Das Lächeln verschwand, als sie sich umwandte und zu entscheiden versuchte, wohin sie sich setzen sollte. Es war offensichtlich eine schwere Entscheidung und möglicherweise die wichtigste ihres Lebens. Schließlich wählte sie einen grünen Lehnsessel, in den sie sich sinken ließ, ohne die rechte Hand aus der Umhängetasche zu nehmen.
»Einen Drink?« sagte Stallings, während er zum Kühlschrank ging. Sie schüttelte den Kopf. Stallings nahm ein Dosenbier heraus, trug es zurück zur Couch, setzte sich, riß die Dose auf und sagte: »Was für ein Problem?«
»Ich brauche einen Platz, wo ich über Nacht bleiben kann«, sagte Georgia Blue.
»Sie meinen, hier?«
Sie nickte.
»Wu und Durant suchen Sie.«
»Oh?«
»Otherguy auch.«
»Scheiß auf Otherguy.«
Stallings trank von seinem Bier. »Erzählen Sie«, sagte er, wobei er sich zurücklehnte und die Bierdose auf der linken Couchlehne abstellte. Seinen rechten Arm legte er über die Rückenlehne, in der Hoffnung, daß dies die am wenigsten bedrohliche Haltung war, die er einnehmen konnte. Dann kam ihm der Gedanke, daß ein Lächeln vielleicht dazu beitragen könnte, ihre rechte Hand dort zu halten, wo sie war: tief in der Umhängetasche. Also lächelte er.
»Warum suchen sie mich?« sagte sie.
»Haben sie nicht gesagt, und ich glaube, sie legten keinen Wert auf Fragen von mir.«
»Kann ich heute nacht hierbleiben?« sagte sie.
»Und was wird morgen?«
»Morgen ist nächstes Jahr. Die Zukunft. Heute nacht ist jetzt, und das ist alles, womit ich gerade klarkomme.« Sie hielt inne und fügte dann, als sei ihr das nachträglich eingefallen, hinzu: »Falls Sie möchten, können wir ein bißchen Sex haben.«
»Klingt interessant«, sagte Stallings und lächelte ihr wieder zu.
»Nein, tut es nicht«, sagte sie und zog ihre rechte Hand aus der Tasche. Sie hielt die Walther-Halbautomatik. »Ist es das hier, was Sie beunruhigt?«
Er hob die Schultern. »Es törnt nicht gerade an.«
Sie steckte die Pistole zurück in die Umhängetasche und stellte sie dann neben dem Sessel auf den Boden. »Besser?«
»Viel besser.«
Wieder breitete sich Schweigen aus. Stallings tat nichts dagegen. Das Schweigen wurde nach knapp dreißig Sekunden gebrochen, als Georgia Blue sagte: »Scheiße.«
»Weiter«, sagte Stallings.
»Passiert ist es in der Zeit zwischen unserer Rückkehr vom Kriegerdenkmal und dem Lunch im Peninsula. Da hat er angerufen.«
Wieder drohte Schweigen einzukehren, aber Stallings verhinderte es mit der Frage: »Wer ist er?«
»Harry Crites.«
»Ah.«
»Aus Washington.«
»Verstehe«, sagte Stallings. »Muß dort gestern ungefähr Mitternacht gewesen sein, wenn es hier gegen Mittag war. Plus/minus eine Stunde.«
»Wir haben nicht über die Zeit geplaudert. Auch nicht über das Wetter.«
Stallings bedachte sie mit einem, wie er hoffte, ermutigenden Nicken. Als darauf keine Reaktion kam, sagte er: »Worüber haben Sie gesprochen?«
»Wir haben einen Code«, sagte sie. »Eine Art blöden Buchstabencode. Er hat ihn benutzt, um mir mitzuteilen, daß ich genau zehn Minuten, nachdem ich aufgelegt habe, eine Nummer anrufen soll. Da sollte ich neue Anweisungen erhalten.«
»Eine Ortsnummer?«
»Ein Münztelefon. Es ist immer ein Münztelefon.«
»Haben Sie angerufen?«
»Angeblich arbeite ich für ihn, stimmt’s?«
»Stimmt.«
»Also habe ich
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