Wuensche Dir alles
bringt mehrere Probleme mit sich:
Es erschöpft uns.
Es fördert ein pessimistisches Weltbild.
Es ruft in uns Selbstmitleid hervor.
Unter Geschwistern passiert es häufig: Ein Kind steckt seinen Wunsch – freiwillig oder unter Druck der Familie – zugunsten eines gesundheitlich schwachen, aber anspruchsvollen kleineren Geschwisters zurück. Es wird zum Beispiel dazu erzogen, sich nicht gegen das schwache, kleinere Geschwisterkind zu wehren, sondern besonnen und großzügig zu sein. Solche Situationen sind manchmal unvermeidlich. Leider wird dabei oft das falsche Mitleid gefördert. Das jüngere Kind lernt nicht, selbstständig für sich zu kämpfen, und das mitleidvolle ältere wird sich zwar vermutlich zu einem tüchtigen Menschen entwickeln, seinen eigenen Interessen aber oft zu wenig Wert beimessen.
Grenzen setzen ohne falsches Mitleid
Viele Mütter leiden darunter, dass sie ihren kleinen Kindern gegenüber nicht energisch und resolut auftreten können. Sie wollen fair sein und möchten ungern aggressiv oder selbstsüchtig wirken. Einem hartnäckigen Kind Widerstand zu leisten, ist alles andere als leicht! Hingegen ist es erst mal leichter, nett zu sein und den Forderungen des Kindes nachzukommen. In der Pubertät jedoch nehmen diese Forderungen ungeahnte Dimensionen an, sodass es auf einmal leichter wirkt, aggressiv zu werden, als auf den Jungen oder das Mädchen einzugehen. Zu diesem Zeitpunkt hat uns das zu lange kultivierte falsche Mitleid schon längst erschöpft und verursacht nun große Probleme.
In lebensbedrohlichen Situationen wäre falsches Mitleid noch fataler. Tiermütter wissen das und verteidigen ihre Jungen aggressiv bei Gefahr. Ist das Gewalt? Wie soll sich ein Rettungsschwimmer verhalten, der gerade einen Nichtschwimmer retten will? Ein panischer Nichtschwimmer ist im Wasser nicht nur unbeholfen, sondern er verhält sich so, dass er sowohl das Retten erschwert als auch das Leben des Retters gefährdet. Wie könnte der Retter anders reagieren, als sich klar durchzusetzen? Soll er mehr geben – in diesem Fall sein Leben –, als er empfangen wird? Wenn wir das Gefühl bekommen, dass wir mehr geben als empfangen, ist es sowieso längst kein Mitleid mehr, sondern nur der Auslöser für Selbstmitleid. Wer mit dem Gefühl gibt, dass er beim Geben profitiert oder etwas verliert, ist im übrigen ein Händler.
WIR KÖNNEN LERNEN, MITGEFÜHL ZU HABEN UND DENNOCH WIDERSTAND ZU LEISTEN. Der Weg dahin ist nicht leicht, aber es gibt folgendes Modell dafür aus der altindischen Kampfkunst.
Wie löst man einen Konflikt? Ein Modell aus Altindien
»Einlenken, entgegenkommen, warnen, angreifen«, heißt die Regeleines fairen Kampfes, die ich jetzt mit zwei Beispielen erläutere. Nehmen wir das Beispiel von einem Kind, das in unseren elterlichen Augen für sein Alter zu viele Freiheiten verlangt. Wir reden und lösen liebevoll den Konflikt mit ihm. Wenn das nicht klappt, erfüllen wir ihm einen Teil seiner Forderungen. Wenn der Konflikt damit kein Ende nimmt und das Kind sich nicht zufriedengibt, machen wir ihm die Konsequenzen, die folgen müssen, klar. Wenn unser Kind trotzdem nicht einverstanden ist, werden wir keine andere Wahl haben, als die Konsequenzen hart durchzusetzen. Dieser Prozess von Gespräch, Klärung und aktivem Durchsetzen ist immer wieder notwendig, auch wenn er schon viele Male stattgefunden hat.
Wir wollen mit einem solchen Vorgehen keine »Verhaltensmodifikation« anstreben, sondern lediglich einen Weg für die Lösung eines aktuellen Konflikts mit unserem Kind finden. Wir wollen auf eine möglichst faire Weise unsere Rechte und Pflichten als Eltern durchsetzen, damit unser Wunsch – das Wohlergehen des Kindes – erfüllt wird. In diesem Beispiel haben wir zuerst eingelenkt und Verhandlungen angeboten, dann sind wir ihm ein Stück entgegengekommen, mussten danach angesichts der hartnäckigen Haltung des Kindes eine klare Warnung aussprechen und schließlich durchgreifen.
Nehmen wir als zweites Beispiel eine Situation an, in der wir mit unseren eigenen Eltern in einen ähnlichen Konflikt geraten. Die alternden Eltern wollen, dass wir oft bei ihnen sind – viel öfter, als wir das möchten. Wir lenken ein, indem wir liebevoll mit den Eltern sprechen und versuchen, ihnen mehr Verständnis für unser eigenes Leben zu vermitteln. Sollte das nicht reichen, kommen wir ihnen entgegen, indem wir Verständnis für ihre Einsamkeit oder Langeweile zeigen und nun doch etwas mehr Zeit für sie
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