Wünsche
wie einen Hosenträger gegen die Brust schnacken lässt.
So!
Nochmals lässt er den Gurt schnacken und mustert Wünsche.
So, jetzt will ich kuscheln, sagt er.
Franz-Josef, ich bitte dich. Friedrich Wünsches Stimme ist streng.
Er meint wahrscheinlich Muscheln , sagt Jo, sitzt schon hinter dem Steuer und dreht den Zündschlüssel.
Ist er verrückt geworden?
Nein, Schlaganfall, sagt Friedrich Wünsche, auch nicht so schön.
Die Gegenrichtung, in deren Graben sie noch halb hängen, ist frei bis zur Silhouette von Dünkirchen. Jo fädelt sich in den Verkehr rechts wieder ein. Friedrich Wünsche sagt etwas. Dann noch etwas. Danach wandert nur noch ein Strom stummer Halbsätze im Auto hin und her, während Jo allein vorn sitzt, mit links lenkt und mit rechts in das Navi die Suche nach dem nächsten Krankenhaus eingibt. Alle drei, hat er in dem Moment gespürt, sehen sie blass und zerbrechlich aus in diesem Septemberlicht, das durch die Frontscheibe fällt. Denn plötzlich ist klar, was eigentlich auf der Tagesordnung steht, früher oder später, aber für jeden ganz sicher. Karatsch hat nur als Erster damit angefangen und ist mit einem Schlag aus der Schwebe des Jetzt ein Stück weit ins ewige Nichts abgerutscht.
Gott, ist mir schwindlig, sagt Friedrich Wünsche leise, als entgleite auch ihm der Boden unter den Füßen.
Wir sind gleich da, sagt Jo und lässt das Fenster herunter. Kirchenglocken läuten näher. Es ist zwei Uhr.
Wie ist die Adresse von dem Krankenhaus? Wünsche schreibt bereits eine SMS .
14.
Du hast hier geschlafen?, fragt Vera, als Hannes gegen Mittag in einem zerknitterten Hemd mit himmelblauen Karos in die Küche kommt.
Schlimm?
Gar nicht.
Die Vorstellung, dass er die ganze Nacht über unten im Haus war, ärgert sie erst ein wenig, dann findet sie sie beruhigend und erregend zugleich. Auch Hannes brüht sich einen löslichen Kaffee auf.
Ich habe vielleicht ein Zeug geträumt, da unten auf Karatschs Couch, sagt er. Erzählen kann man das nicht.
Wieso nicht?
Mein Privatfilm, sagt Hannes.
Sie erinnert sich, dass sein Nachname, der ihr aber nicht einfällt, etwas mit der Stimmung in leeren Schulhäusern, mit dem Geruch von verlassenen Klassenzimmer und Turnhallen und mit jenen öden Sonntagen zu tun hat, an denen man sich mit zwei oder drei anderen und ohne Ziel auf dem verregneten Schulhof herumtreibt.
Karatschs Telefon klingelt in der Diele. Vera knotet den fusseligen Bademantel fester, bevor sie aufsteht. Es ist Meret, die am anderen Ende sagt, dass sie sofort nach Dünkirchen müssen. Wegen Karatsch. Dass sie selbstverständlich mitkommt in die Clinique Vilette, wegen Vera, und dass sie, gleich nachdem die SMS von Friedrich kam, die Zugverbindungen nach Belgien nachgeschaut hat. Sie sind sonntags so schlecht, dass man schneller auf dem Mond ist als an diesem verdammten Meer, welches eigentlich fast vor der Haustür liegt, sagt Meret. Dass sie deswegen Karatschs Kleintransporter nehmen müssen, sagt sie, und da sie selber keinen Führerschein mehr hat und Vera zu aufgeregt sein wird, muss Hannes fahren.
Hannes Hungerland? Mit Merets Stimme dicht an ihrem Ohr, hat Vera sich plötzlich wieder an den Nachnamen erinnert.
Genau der, sagt Meret, ich rufe ihn gleich an.
Warte, sagt Vera, greift nach dem abschraubbaren Krönchen der Plastikmadonna gleich neben dem Telefon, wirft einen Blick von der Diele in die Küche, wo Hannes mit beiden Händen in den Hosentaschen vor dem Küchentisch steht, ein wenig den Bauch vorstreckt und so intensiv nach unten schaut, als läse er Zeitung. Aber er starrt nur auf seine Kaffeetasse. Die untersten Knöpfe seines Hemdes hat er geöffnet. Vorhin, als sie auf dem Sofa unter ihrer grünen Wolldecke zum zweiten Mal wach geworden ist, hat sie sich nach der Wärme eines Mannes gesehnt, der sich hinter sie legt, um sie von den Kniekehlen aufwärts bis hinauf zum Hohlkreuz zu küssen, und der sie so hineinzieht in diese wundervolle Schläfrigkeit der Liebe, während er mit seinem Körper das gestärkte Zelt eines Betttuchs aufzurichten beginnt, das nach dem Hauswaschmittel von Sainsbury’s riecht.
Er ist hier, sagt Vera zu Meret, er hat hier geschlafen.
Wer?
Hannes.
Dann herrscht Stille, bis Meret leise, aber mit einer fremden, scharfkantigen Stimme zu sich selber sagt: Brauche ich Hilfe? Brauche ich nicht, danke auch.
Sie legt auf.
Keine Minute später ruft sie wieder an.
Nicht dass ihr ohne mich fahrt. Sie lacht: Immer wenn der Weg durch Belgien
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