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Wünsche

Wünsche

Titel: Wünsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Kuckart
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zwei Vögel brauchte?
    Weil er sich ein wenig verliebt hatte?
    Sie hängte ihre Kleider auf die wenigen freien Bügel in Kennedys Schrank, stopfte die Tasche von Salomé Schreiner in den karierten Billigkoffer und warf ihn unter sein Bett. In der Küche knipste sie die Neonröhre über Kennedys Spüle an, sah wieder das Kinoprogramm ERZÄHLBAR von St John on Bethnal Green am Schrank kleben, öffnete das Fenster und stand einen Augenblick da, ohne zu wissen, was sie eigentlich erwartet hatte, doch auch ohne enttäuscht zu sein. Seine Küche aus den Siebzigern sah aus, als würde sie nie mehr sauber werden. In der Obstschale fand sie neben einer angeschnittenen Zitrone eine Packung Zigaretten und benutzte den Aschenbecher, der draußen auf der Fensterbank stand. Sie rauchte hastig, wie heimlich, und während sie die Kippe ausdrückte, drehte sie sich zu den Gummihandschuhen Hausmarke Sainsbury’s über der Geschirrabtropfe um. Gelb und hässlich waren sie, wie alle ihre Vorgänger und die, die nach ihnen kommen würden. Der Kühlschrank war von ADISON , weil das M abgefallen war. Vera räumte die weißen Kerzen aus dem Gemüsefach und stapelte sie im Hängeschrank. Dann machte sie in der Mikrowelle Wasser warm, für den Tee, und trank ihn im Stehen aus einer Tasse, auf der vor tausend Jahren Prinz Charles und Lady Di aneinander vorbeilächelten. Du bist älter geworden, mein Vera-Mädchen, hörte sie plötzlich Karatsch neben sich sagen und sah ihn in Kennedys Küche mit verschränkten Armen herumstehen, die schrecklich kurz aussahen. Viel kürzer als in Wirklichkeit, und noch viel, viel kürzer als damals, als er mit diesen Armen nach ihr gegriffen hatte. Sie war sechzehn gewesen und das Bett noch ungemacht. Die Kopfkissen von Suse und Karatsch hatten an jenem Tag so dicht beieinandergelegen, als kümmerten sie sich umeinander. Karatsch hatte sie an jenem Nachmittag erwischt, als sie vor dem großen Spiegel einen Monolog probierte, mit dem sie sich an einer Schauspielschule bewerben wollte. Es war nur ein Reflex, hatte sie sich später beruhigt, den alle Männer haben, wenn eine Frau auf Atemnähe steht. Karatsch hatte sie geküsst. In der Berührung seiner Lippen war bereits alles gewesen, was später folgte und vielleicht nicht bis später gewartet hätte, hätte es in dem Moment nicht an der Tür geklingelt. Ich bin’s, piepste es drüben beim Törchen zum Vorgarten. Weiße Lackstiefel staksten auf die Haustür zu. Mit hängenden Armen hatte Vera Karatsch zugeschaut, wie er abrupt anfing, die Betten zu machen, während Meret auf dem kurzen Weg zum Haus kreuz und quer trippelte und wie eine Möwe schrie. Was ist, hast du ’nen Vogel?, hatte Vera gefragt, als sie die Tür für Meret öffnete. Nein, habe ich nicht. Bin aber heute einer, hatte Meret geflötet. Du übrigens auch, kannst dir aussuchen, ob du Kranich oder Schnepfe sein willst. Auf jeden Fall wird es Zeit, dass wir von hier fortfliegen.
    Vera ging ins Bett, in Kennedys Bett.
    Hoffentlich kam er nicht so bald zurück.
    Hoffentlich kam er doch bald zurück.
    Hoffentlich beides.
    8.
    Stehen Sie nicht herum, Mädchen. Pantons Stimme war daran gewöhnt zu befehlen. Lassen Sie einen Priester kommen, denn es muss nochmals getanzt werden.
    Mr.   Panton aus Zimmer 9 war mitten in der Nacht aufgewacht und hatte geglaubt, es sei viel früher in seinem Leben. Im Nachbarbett, in dem er seine Ehefrau vermutete, hatte ein Mann gelegen. Was will der hier? Panton hatte erst seinen greisen Zimmernachbarn und dann die Station zusammengebrüllt. Mich mit meiner Frau betrügen?
    Eine Schrecksekunde war vergangen, dann ein ganzes Zeitalter. Panton hatte zugeschlagen und offenbar am Morgen vergessen, dass er es getan hatte.
    Ich glaube, mit mir geht es zu Ende, sagte er, als Vera eine Schnabeltasse mit Tee auf den Nachttisch stellte und sich länger als nötig am Henkel festhielt. Sie mochte Panton, auch wenn er pisste oder weinte oder sagte, dass nur eine gewisse Ruth oder ein Hund namens Prince Charles ihn verstünden. Panton war Kapitän auf der Belfast gewesen. Wenn man sich länger als zwei Minuten in seinem Zimmer aufhielt, erzählte er von der Harland-&-Wolff-Werft, wo sein Schiff auf Kiel gelegen hatte, bevor es im März 1938 vom Stapel gelassen und im August 1939 von der Royal Navy in Dienst gestellt worden war. Damals war David Panton neunzehn gewesen. Er schwärmte von den 187   Metern Länge seines Schiffs wie von den Maßen einer Schönheitskönigin und von

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