Wünsche
rotes Herz auf blauem Himmel. Zweites: ein Himmel mit den Füßen im Sand und alles in billigen Wechselrahmen. Nach einer weiteren Schwingtür waren Vera und der Reverend in der Abteilung für mentale Störungen gelandet. Wand und Bodenfarbe im Flur waren polarblau. Es war noch nicht Mitternacht. Letzte Woche hatte hier noch ein drittes Bild gehangen. Ein Aquarell. Einem kleinen muslimischen Mann im weißen Kleid mit Nikolausgesicht und passendem Bart folgten zwei hohe schlanke Frauen. Die eine trug eine braune, die andere eine schwarze Burka und dazu in der Hand eine dünne Einkaufstüte, wie man sie im Sainsbury’s umsonst bekam. Wenn Vera eines Tages in die Stadt, aus der sie kam, zurückkehrte, sie würde sich vom Markt bei der Whitechapel Station eine Burka mitnehmen, für all die Tage, an denen es ihr nicht gut ging und sie weder im Mumienexpress noch beim Einkaufen angeschaut werden wollte, hatte sie letzte Woche beim Anblick des Bildes gedacht. Es hieß: Mohammed und seine Gefährtinnen. Heute.
Den Titel hatte der Künstler von Hand auf sein Visitenkärtchen gemalt und neben das Werk geheftet. Also musste die jüngere der beiden Frauen Khadija oder Saida, die ältere Aischa oder Zinebauf sein, hatte Vera letzte Woche im Netz nachgeschaut. Wie oft war Vera im East End, wo sie jetzt wohnte, zwischen all den Saidas und Aischas beim Gemüsekaufen die Einzige, die kein Kopftuch trug. Aber das Problem, von dem sie daheim im Fernsehen immer redeten, war hier keins. Den beiden Frauen auf dem Bild wehte ein heftiger Wind aus der Richtung des Betrachters entgegen. Die langen Kleider schlugen nach hinten und klebten zwischen den Beinen, wenigstens letzte Woche noch. Jetzt war an der Stelle, wo das Bild gehangen hatte, nur noch ein Nagel in der Wand und schräg darunter ein Stück Tesa ohne Visitenkarte.
Reverend Jonathan lief hinter Vera her. Mit dem bloßen Unterarm wischte sie sich am Kinn entlang, als sie sich einmal im Gehen zu ihm umdrehte und versuchte, ganz wie Salomé Schreiner zu ihm zurückzuschauen. Wie eine zum Abenteuer entschlossene junge Frau, die gern um die Wette schwimmt bis in die stillsten Buchten hinein, gern lebt, gern Westernstiefel trägt.
Schön, dass Sie gekommen sind.
Warum machen Sie das überhaupt, Salomé, dieser Panton ist doch nur ein Patient unter vielen?
Statt zu antworten, lief sie weiter und hielt weiter Schwingtüren auf.
Mochte wohl sein, dass sie diesen Panton nur benutzte wegen eines Hungers nach Sinn, der andere dazu brachte, Gedichte zu schreiben, Filme anzuschauen, Predigten zu halten oder Kriege zu führen und zu verhindern. Mochte ja sein, dass ein Helfen wie ihres egoistisch war. Aber Helfen half, so wie es in der Not auch Trost und Rettung sein konnte, im richtigen Moment ein Spiegelei zu braten, an frische Wäsche oder Fliederbäume zu denken oder sich die Haare zu waschen.
Die Flure wechselten von Abteilung zu Abteilung die Farbe der Böden und Wände. Die Töne änderten sich von nicht ganz dunkel bis nicht ganz hell. Was hätte sie antworten sollen, während sie so liefen? Die Storyline meines Lebens war einfach schlecht bisher, hätte sie sagen können, die Höhepunkte lagen zu früh, der große Wendepunkt kam fast zu spät. War sie nicht zu lange das traurige Mädchen geblieben, das in den Jahren, nachdem der alte Film längst abgedreht war, immer wieder an die Orte gegangen war, die als Kulisse gedient hatten? Ja, auch der Straßenzug beim Güterbahnhof war schließlich abgerissen worden. Sie war weiter dorthin gegangen, auch als die neue Siedlung stand, und hatte Jos Kinderwagen dort entlanggeschoben. Weg waren die dunklen Bergarbeiterhäuser, durch die im Film einmal ein schweres Pferd und eine schwere Frau gelaufen waren, bis jemand vom Set Stopp rief. Stopp-Stopp! Das Ganze noch mal, bitte! In Veras Leben hat niemand im richtigen Moment Stopp gerufen. Die Männer, denen sie sich nach dem Film anvertraut hatte, hatten keine so fernen, aber freundlichen Augen wie der Regisseur des alten Films gehabt, von dem sie lange ein Foto im Geldbeutel mit sich herumgetragen hatte, als sei sie mit ihm verlobt.
Stopp-stopp, rief es in dem Moment hinter ihr. Es war die Stimme des Reverends. Er schwitzte und zog im Gehen seine Lederjacke aus.
Stopp, Salomé, Sie sagten, katholisch war dieser Mr. Panton einmal? Wenn das stimmt, wird er mit einem von der Konkurrenz nicht zufrieden sein. Die Kirche, zu der ich gehöre, versucht das Unannehmbare dieses letzten Abschieds
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