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Wünsche

Wünsche

Titel: Wünsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Kuckart
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drückte die Ellenbogen durch und die Hände noch tiefer in ihre Kitteltaschen. Eine flache Dose mit Nivea drückte zurück. Mein Gott, was für ein Flur war das nur, der da vor ihr lag. An seinem Ende nichts als schlimme Vasen im Regal und auf dem ganzen Weg dorthin hinter jeder Tür das laute Atmen der Alten. Sie warteten darauf, dass der Todesengel für heute noch einmal an ihnen vorüberging und über teichgrünes Linoleum allenfalls das Nachbarzimmer betreten würde.
    Es ist wegen Mr.   Panton.
    Panton? Kenn ich den?
    Panton ist ein Patient bei mir im Krankenhaus. Er ist zur See gefahren, war mal katholisch, jetzt ist er Atheist. Er will einen Priester.
    Warum?
    Er stirbt.
    Reverend Jonathan zerdrückte seine leere Bierdose in der Linken, und der Mann am Tresen nahm sie ihm weg. Seine Hand war erstaunlich weich, dafür, dass seine Unterarme flächendeckend tätowiert waren, hatte sie bemerkt, als sie sich vor wenigen Minuten begrüßten.
    Ich kenne Sie, von Silvester, hatte er gesagt.
    ERZÄHLBAR stand auf dem Transparent hinter dem Tresen, und wie bei ihrem ersten Besuch in St John on Bethnal Green brannte der siebenarmige Leuchter zwischen halbvollen und leeren Weinflaschen. Die Filmveranstaltung war gerade zu Ende gewesen, als Vera von der Spätschicht in die Kirche gekommen war.
    Könnten Sie morgen nicht auf Station vorbeikommen, Reverend? Morgen habe ich Nachtschicht und bin so gut wie allein dort.
    Als Vera am nächsten Abend kurz vor zehn die Schicht von Schwester Lea übernahm, war Mrs.   Lee soeben in ihrem Zimmer zwischen dem Dunkel und dem Schnee in ihrem Kopf über irgendetwas gestolpert, das ihr vor dem Einschlafen noch unerledigt vorkam. Letzte Woche war es ein Brief an einen Cousin gewesen, den sie im Krieg nicht zu Ende geschrieben hatte. Heute war es ein Vogelkäfig, den sie vor vierzig Jahren zu lange in einem kalten Hausflur hatte stehen lassen. Auf der Suche nach frischem Vogelsand hatte sie den Vogel vergessen. Der war ihr nun, Jahrzehnte später, wieder eingefallen.
    Sie hat sich auf die Suche gemacht und sich am Waschbecken die Hüfte angeschlagen, fasste eine ungeduldige Schwester Lea zusammen.
    Ich kümmere mich drum.
    Zwei dunkle Elefantenaugen von undefinierbarer Farbe starrten Vera im Schein des Nachtlichts an, als sie das Zimmer betrat.
    Wieso kommen Sie jetzt noch?
    Wegen Ihres Vogels.
    Ich? Ich hatte noch nie einen Vogel! Was fällt Ihnen ein. Mrs.   Lee richtete sich böse im Bett auf, ließ sich aber trotzdem die alte Hand streicheln, die ziemlich groß war. Eine brüchige, trockene Haut und im Hirn lauter Gekrakel, unleserlich und manchmal böse. Wie sie wohl als junge Frau gewesen war? Und wie als Frau in Veras Alter? Auf einem Hocker neben dem Bett stand eine Nierenschale. Das Schwimmbecken aus Sandstein in dem Hotel, das wie ein Schloss getan hatte, in dem sie mit Karatsch im letzten Urlaub gewesen war, hatte zwischen den Rhododendren ebenfalls wie eine riesige Nierenschale ausgesehen, und Karatsch hatte sie am letzten Abend der Reise gebeten, nackt beim Fenster zu stehen und auf das Schwimmbecken zu schauen, bis jemand vorbeikäme und sie oben am Fenster sähe. Der Gedanke hatte ihn erregt. Aber nur ein Schwarm Krähen war irgendwann krächzend aufgeflattert, vor einem glühenden Postkartensonnenuntergang.
    Ich muss mal, sagte Mrs.   Lee in das ferne Krähengeschrei in Veras Kopf hinein. Vera fädelte einen Arm unter den Achseln von Mrs.   Lee hindurch, um ihr aus dem Bett zu helfen.
    Wie alt sind Sie eigentlich, Fräulein?
    Schätzen Sie. Vera schaute auf die Uhr.
    Ich schätze mal, vier Wochen älter als ich, richtig?
    Mit der Hand fuhr Mrs.   Lee sich unter eine ihrer Brüste, die schlaff zwischen Nachthemd und Rippen hing.
    Und was ist das da überhaupt für ein Gepiepe in Ihrem Kopf, Fräulein?
    Mrs.   Lee tippte mit einem langen gelben Fingernagel zwischen Veras Brauen. Haben Sie etwa einen Vogel? Hat der Hunger? Hat der auch einen Namen?
    Ja, hat er. Vera schaute wieder auf die Uhr. Zwei Elefantenaugen unter schrumpeligen Lidern beobachteten sie flink.
    Wie heißt er denn?
    Es ist kein Er.
    Ein Weibchen?
    Ja, sagte Vera.
    Wie süß, zwitscherte Mrs.   Lee, und eng aneinandergeschmiegt gingen Vera und sie zur Toilette. Was für eine zärtliche Verschworenheit mitten in der peinlichen Notwendigkeit.
    Warten Sie eigentlich auf jemanden, Fräulein? Mrs.   Lee fragte lauernd, und Vera setzte sie energischer als sonst auf die kalte Klobrille.
    Erstes Bild: ein

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