Wünsche

Titel: Wünsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Kuckart

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und ging in sein Zimmer, in dem er seit Februar nicht mehr gewesen war. Das Fenster stand auf Kippe, und draußen war es warmer Herbst.

    Hannes
    1.
    Folgendes, sagte Karatsch am frühen Abend am Telefon mit einer Stimme, die Hannes gar nicht von ihm kannte. Während er den Hörer zwischen Schulter und Ohr einklemmte, um die Trainingshose überzuziehen, schaltete sich automatisch die Lüftung in seinem fensterlosen Bad ein. Er schaute in den Spiegel. Nichts Neues, seine Augen waren graublau, die Nase war ein wenig seitwärts gebogen. Er sah aus wie ein Mann, in dessen Begleitung sich oft eine Frau befindet, aber immer eine andere. Seit Anfang Januar wohnte er im Narzissenweg am Ostrand der Stadt in einer breiten, baumlosen, von kleinen Häuschen gesäumten Straße. Die Vorgärten waren nur wenige Quadratmeter groß und für Mülltonnen reserviert. Drei Stufen aus Zement führten zu Haustüren, die grell lackiert waren, moosgrün, zitronengelb, ochsenblutrot, kornblumenblau. Papageienviertel heißt die Siedlung wegen des Anstrichs der billigen Baumarkttüren. Vera ist hier aufgewachsen, hatte Karatsch neulich zu Hannes gesagt, ich habe sie dort rausgeholt.
    Hannes band die Trainingshose zu. Es war der 13. September, der Tag, an dem er genau vor einem Jahr Karatsch kennengelernt hatte. Der Tag, an dem wir nicht zusammen gestorben sind, pflegte Karatsch zu sagen, wenn die Rede auf das Datum kam.
    Wir haben den Volvo genommen, du kannst den Kleintransporter haben, wenn du in der Zeit dringend was zu erledigen hast, sagte Karatsch jetzt.
    Wir?, fragte Hannes.
    Jo fährt mit und Wünsche auch, sagt Karatsch. Übrigens, auf dem Rückweg bringen wir Muscheln aus Dünkirchen mit.
    Okay, und Grüße an deine Frau, unbekannterweise, sagte Hannes und legte auf.
    Unbekannterweise? Er nahm die grüne Jacke vom Haken hinter der Eingangstür und verließ das Haus.
    Gern wäre er mitgefahren.
    Hannes und Karatsch hatten sich in einem Flugzeug kennengelernt.
    Kurz vor der Landung hatten die zwei männlichen Flugbegleiter ihre Notsitze heruntergeklappt und sich angeschnallt, ohne zuvor bei den Fluggästen die aufrechte Stellung von Rückenlehnen oder Tischchen für die Landung überprüft zu haben. Aus dem Cockpit hatte sich der Pilot gemeldet und etwas über Turbulenzen gesagt, als bereits der erste Ruck durch die Maschine ging. Sie sackte in Intervallen und schlug auf einer nächsten Luftschicht auf, die nicht riss, aber auch nicht hielt. Der Mann neben Hannes hatte mit strahlend blauen Augen von seiner Auto, Motor, Sport aufgeschaut, als das Flugzeug wie im Sturz die Wolkendecke durchstieß und im Fenster ein runder See mit einer ebenso runden Insel und Bäumen darauf erschien. Das letzte Bild auf der Netzhaut, bevor wir an einem 13. September sterben, sagte er und zeigte hinaus. Er habe in Berlin den Autor Rainer Bratfisch aus der ehemaligen Hauptstadt der DDR getroffen, mit dem er ein Buch über Jazz in Ostdeutschland herausgeben wolle, fügte er hinzu, als hätte Hannes ihn danach gefragt.
    Und Sie, was haben Sie so im Leben gemacht?
    Hannes hob den Hintern und holte aus der Gesäßtasche eine Visitenkarte. Hannes Hungerland / dipl. designer /foto / film / fuchsstraße 10 / 50823 koeln.
    Was heißt das?
    Ich mache Filme, sagte Hannes, als Freier in einem Regionalsender.
    Interessant, hatte der Mann neben ihm in diesem Flugzeug gesagt, das vielleicht bald glutroter Schrott sein würde und dann eine erste Meldung in der Tagesschau. Er hatte sich mit der Visitenkarte Luft zugefächelt. Meine Frau Vera wollte immer, dass wir zusammen sterben, aber alles muss man allein machen. Er hatte gelächelt. Doch wenn wir das hier überleben, dann kommen wir vielleicht miteinander ins Geschäft. Die Maschine hatte heulend die Schnauze zurück Richtung Wolkendecke gehoben und war wieder in den Himmel hineingestoßen. Die ersten Fluggäste schrien, und einer der beiden Flugbegleiter widersetzte sich den Anordnungen aus dem Cockpit, die Leute zu beruhigen. Ich mache da jetzt gar nichts, flüsterte er mit zickiger Stimme ins interne Telefon, ich bleib hier sitzen, verdammt, sollen die doch das nächste Mal mit dem Bus fahren! In den hinteren Reihen kotzten die ersten Passagiere, als das Flugzeug ein zweites Mal rapide an Höhe verlor und wieder durch die Wolkendecke fiel. Wieder der runde See, die runde Insel, darauf Natur. Mit Frisuren wie Bäumchen für die Modelleisenbahn, hatte Hannes gedacht, während sein Nachbar die